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REZENSION/015: Jack C. Haldeman III - Perrys Planet (STAR TREK) (SB)


Jack C. Haldeman


Perrys Planet



Im Gegensatz zu Science-fiction-Romanen, die an keine fortlaufende Handlung und stets denselben Personenkreis gebunden sind, unterliegen die Abenteuer des Raumschiffs Enterprise der Gefahr der Wiederholung. Die Charaktere sind durch die TV-Serie eindeutig vorgegeben, und der Autor orientiert sich dann nur noch an Klischees. Wer die Serie kennt, weiß, was damit gemeint ist: Spock hebt seine Braue als Zeichen maximaler Gefühlsaufwallung, "Pille" McCoy flucht über Transmitter, und Kirk fliegen die außerirdischen Wesen weiblichen Geschlechts nur so in die Arme.

Trotz dieser vorgegebenen und offensichtlich unumstößlichen Charaktereigenschaften schaffen es einige Autoren, ihre Abenteuer noch so spannend zu gestalten, daß man beim Lesen nicht weiter mit diesen Klischees belastet wird. Zu diesen Autoren zählt auch Jack C. Haldeman III mit seinem Star-Trek-Roman "Perrys Planet".

Das Raumschiff Enterprise erhält den Sonderauftrag, in einer diplomatischen Mission einen Planeten von Kolonisten anzufliegen, die nach einigen Jahrhunderten des Schweigens den Kontakt zur Föderation und damit zur Heimat suchen, um in den kosmischen Bund aufgenommen zu werden. Trotz des aufgeschobenen Landurlaubs der Crew ist Kirk zuversichtlich, daß er diesen Auftrag schnell erledigen wird. Doch da taucht zunächst einmal ein rachsüchtiger Klingone auf, der den Bluteid geschworen hat, Kirk zu töten, und zwar langsam und - für sein verbittertes Herz - genußvoll. Zu allem Leidwesen verfügt der Klingonen-Kreuzer auch noch über ein Gerät, mit dem es die Sensoren der Enterprise täuschen kann. Die ist den Attacken nun wehrlos ausgeliefert.

Aber nicht nur aus technischen Gründen ist die Mannschaft wehrlos, sondern vor allem weil das ganze Schiff von einem speziellen Virus befallen ist, der von Perrys Planet eingeschleppt wurde: ein "Friedens-Virus"! Dieses Virus wird dann aktiv, sobald irgend jemand Streit anfängt oder einen anderen verletzen will. In letzter Konsequenz wird beim "Täter" Bewußtlosigkeit ausgelöst.

Dadurch erwächst den Klingonen ein ungeheurer Vorteil, aber gerade die Leichtigkeit, mit der sie die Enterprise angreifen können, ist es, die sie mißtrauisch macht. So spitzt sich die Lage nur allmählich zu. Während sich Scott auf dem Schiff wehrlos den Angriffen der Klingonen ausgesetzt sieht und der Kontakt zu Kirk, Spock und McCoy auf dem Planeten abreißt, nähern sich diese auf, beziehungsweise unter der Oberfläche immer mehr dem Geheimnis um Wayne Perry an. Was es damit auf sich hat und wie unsere Protagonisten sich aus diesem Schlamassel befreien, das sollte allerdings Ihrem späteren Lesevergnügen überlassen bleiben!

Haldemann versteht es, mit der Leichtfüßigkeit eines Science- fiction-Romans bestimmte gesellschaftspolitische und sogar philosophische Fragestellungen aufzuwerfen. So zum Beispiel beim Kernthema dieses Romans: Ist Gewaltlosigkeit überhaupt erstrebenswert in einem Universum voller Gewalt? Der rachsüchtige Klingone gibt ein beredtes Beispiel dafür, daß die Frage nicht so einfach mit einem Ja zu beantworten ist. Dem Skeptiker hingegen wurde entgegengehalten, daß Gewalt als Mittel zur Problemlösung nicht erforderlich sei, schließlich wolle man das gesamte Universum mit dem Virus infizieren. Das ist nicht nur für unseren Haudegen Kirk eine furchtbare Vorstellung, auch die anderen Offiziere können sich damit nicht abfinden. Doch was sie auch versuchen, sie können das Virus nicht überlisten.

So stellt sich dem Leser die weiterführende Frage, ob es nicht bereits ein Akt der Gewalt darstellt, wenn jemand gegen seinen Willen mit einem Virus infiziert wird? Unterstellt man einmal, die Mitglieder der Enterprise-Crew würden über einen freien Willen verfügen, wie ihn Wayne Perry, der Urheber der besagten Virus-Infektion, gleichermaßen für sich in Anspruch nimmt, dann muß man sein Vorgehen als klaren Akt der Gewalt bezeichnen. Denn wenn er so sehr von seiner Befriedungs-Methode überzeugt ist, hätte er die Crew schließlich fragen können, ob sie mit der Infektion einverstanden ist. Da er dies wohlweislich unterlassen hat, können Kirk und seine Mannen das Recht für sich in Anspruch nehmen, gegen ihn vorzugehen, ohne daß man dies als Beweis ihrer Gewalttätigkeit auslegen dürfte, denn die ging ja von Wayne Perry aus, der sie unter falschen Voraussetzungen auf seinen Planeten geholt hat.

Auch wenn solche Fragestellungen von Recht und Gewalt nicht tiefer ausgeführt werden - dafür steht natürlich die Unterhaltung des Romans zu sehr im Vordergrund -, so ermöglicht der Stoff gerade durch seine Oberflächlichkeit eine ungezwungene Herangehensweise an solche, heute mehr denn je aktuelle Problematiken. So läßt Haldeman zu Beginn des Buchs Captain Kirk eine bemerkenswerte Aussage machen, die ebenfalls ein deutliches Bild auf die zeitgenössische Diskussion über Recht und Gewalt wirft. Dazu ein kurzer Textauszug:

Kirk blickte zu der grünen Kugel namens Waycross hinab. Eines Tages würde sie vielleicht zu einem großartigen landwirtschaftlichen Planeten werden. Waycross besaß einen fruchtbaren Erdboden, auf dem eine Vielzahl von Pflanzen wuchs. Im Augenblick befand sich auf dem Planeten nur eine kleine Kolonie, aber weitere Siedler würden folgen, und die Bevölkerungszahl würde rasch steigen. In gewisser Weise symbolisierte dieser Planet das Vordringen der Menschen zu den Sternen. Der Anfang war hart gewesen, sehr hart, aber der Mensch war ein Tier, das nicht so leicht aufgab. Der Lohn stellte sich nicht sofort ein, war dafür aber reichlich. Jetzt lebte der Mensch auf einer Unzahl von Planeten, die im Universum verstreut waren. Es war ein harter Kampf gewesen, aber die Mühe hatte sich gelohnt. Er fragte sich, was wohl geschehen wäre, wäre die Menschheit auf einem einzigen Planeten, mit einzig und allein den Reichtümern dieses Planeten, geblieben. Grimmig schüttelte er den Kopf. Er kannte die Fakten, zumindest die meisten davon. Die Menschheit war nahe daran gewesen, ihr einziges Heim zu vergiften. Im zwanzigsten Jahrhundert hatte es eine Zeitlang so ausgesehen, als müßte sie sich mit der Möglichkeit eines Krieges, der die gesamte Menschheit zu vernichten drohte, abfinden. Jetzt, verstreut wie sie waren, war das kaum noch möglich. Zudem behandelten sie jetzt die Planeten, auf denen sie lebten, etwas sanfter und respektvoller. (S. 20)

An diesem Beispiel zeigt sich sehr gut, daß die Vorstellung der Eroberung neuen "Lebensraums", auf die Zukunft projiziert, nicht weniger verklärt wird, als dies bereits in der tatsächlichen Menschheitsgeschichte gehandhabt wurde. Die Eroberung neuer Welten als Antwort auf innere Konflikte - ausgesprochen oder unausgesprochen stand diese Vorstellung schon immer Pate, wenn es darum ging, seine territorialen Raubzüge zu rechtfertigen. Die Geschichte der Vereinigten Staaten von Amerika oder die Zeit der Nazi-Herrschaft in Deutschland sind zwei von unzähligen Beispielen, in denen dies deutlich wurde.

Unter diesem Banner läßt der Autor die Menschen der Zukunft agieren; wie könnte es auch anders sein, verspricht doch der Weltraum eine Weite und damit die Möglichkeit des Ausweichens durch den fortgesetzten Wechsel und Verbrauch ... allerdings im kosmischen Maßstab.

Bei diesem Konzept, das wird jedoch übersehen, bleiben die Probleme auch auf dem neuen Planeten immer noch die alten. Die Föderation mag noch so tief in den Weltraum vorstoßen, ohne den Verbrauch - Ressourcenraub an Mensch und Material -, könnte sie ihre Expansion nicht vorantreiben. Die Vergiftung des eigenen Heims, wie sie im obigen Zitat Captain Kirks als in der Föderation überwunden angesehen wird, ist prinzipieller Bestandteil bioexistentiellen Lebens. Den Stoffwechsel kann man nicht durch den Glanz einer Hochtechnologie überdecken, wie sie in Star Trek beschrieben wird. (Diesem Dilemma versucht man bekanntlich in der zweiten Generation von Star Trek durch den verstärkten Einsatz von Replikatoren zu begegnen.)

Sicherlich breitet Haldeman die Gewalt- oder Rechtsfrage in seinem Roman nicht weiter aus, aber es werden immerhin Dialoge geführt, die der Leser über das bloße, aber zweifelsohne vorhandene Lesevergnügen weiterverfolgen kann. Das ist sicherlich einer der Gründe dafür, warum diese Science-fiction-Serie eine so große Fan-Gemeinde erworben hat und warum man in den USA an einer Hochschule bereits Star Trek als Studienfach mit Abschlußmöglichkeit belegen kann.

Aus dem Kampf gegen den aggressiven Klingonen gleichermaßen wie gegen den pseudo-friedlichen Wayne Perry geht die Mannschaft, wie sollte es anders sein, gestärkt hervor. "Wir alle leben in zwei Welten", philosophierte Captain Kirk, "in einem Gleichgewicht aus Friede und Gewalt, Liebe und Haß, Yin und Yang. Egal, wie man darüber denkt, aber so sind wir Menschen eben. Wir lernen, damit zu leben. Wir lernen, ein Gleichgewicht herzustellen, die goldene Mitte zu finden."

... Schade, daß der Autor am Ende doch noch in das Klischee des harmonischen Ausgleichs verfällt, anstatt die losen Enden der zuvor angerissenen Fragen vielleicht mit einer nachdenklich gewordenen Crew auslaufen zu lassen.


Jack C. Haldeman
Perrys Planet
Die Original-Abenteuer von Raumschiff Enterprise
Nr. 28, Goldmann, München, 1992
DM 9,90