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REZENSION/014: -ky - Der Satansbraten (Politthriller) (SB)


-ky


Der Satansbraten



Der unter dem Pseudonym -ky firmierende Autor Bosetzky hat mit dem 1994 im Weitbrecht Verlag erschienenen Roman "Der Satansbraten" einen repräsentativen Vertreter des sogenannten Wenderomans vor allem auf die westdeutsche Leserschaft losgelassen. In dem 316 Seiten starken Werk wird nichts ausgelassen, was es zum Thema der bereits ausgiebig diskutierten deutsch-deutschen Befindlichkeiten noch zu sagen oder bereits wiederzuverwenden gibt. Um von vorneherein dem Vorwurf klischeehafter Darstellung und allzu platter Überzeichnung seiner Charaktere entgegenzuwirken, läßt er die Journalistin Jana in Worte fassen, was seinem Werk gut ansteht:

Das Leben war ein einziger Kolportageroman, und nur die verblasenen Hochliteraten machten eine erhabene Sache daraus. Wenn sie von Klischees redeten, dann traf das nur auf ihre arrogant-dümmliche Weltsicht zu. Alle Wirklichkeit war Klischee.

Von literarischen Ansprüchen aller Art vermeintlich befreit macht sich -ky daran, eine von abgründigen Verschwörungen und politischen Hoffnungen durchzogene märkische Landschaft mit einer aufstrebenden "Gerechtigkeitspartei" und einer kriminellen Vereinigung aus hochfliegenden Utopisten und alten Stasiseilschaften zu bevölkern, in der sich alles so stilecht wie in einer beliebigen Reportage der letzten fünf Jahre abspielt. Zu dieser Inszenierung, die keinen Wunsch offen und im obigen Sinne kein Klischee unausgefüllt läßt, gehören noch eine ordenliche Portion Psychostreß, abgenutzte Beziehungen und neuerstandene Liebe, klassische Serienmörderästhetik und jede Menge Politik nach Hausmannsart. Diese Vollbedienungsmentalität verschreckt allerdings jeden, der von einem das deutsche Zeitgeschehen kommentierenden Werk mehr als Wendeschablonen erwartet, die auf einer reißbrettartigen Romanstruktur verteilt den schalen Eindruck einer Bildertapete hinterlassen, die als Ersatz für wirklichen Urlaub fungiert.

In der vermeintlich komplex angelegten Handlung und beim regelmäßigen Eintreten unvermeidbarer Zufälle herrscht einfach zuviel Ordnung, als daß man sich dem Fluß einer Geschichte hingeben könnte, in der es auch Brüche und Kanten gibt und die so zumindest den Anschein einer organischen Handlungsentwicklung verbreitet. Man wird bei -ky ständig an den akademischen Hintergrund des Verfassers erinnert, der als Professor für Soziologie mit allen Feinheiten des systematischen und strukturierten Arbeitens vertraut ist. Die eigentlich spannungstragenden Überraschungsmomente wirken durchsichtig angelegt und kalkuliert, so daß dem Leser nichts übrigbleibt als mit dem Autor die Symmetrie des Exposés nachzuvollziehen.

Letztlich ist es jedoch nicht einmal der das Prinzip geschlossener Kreisläufe simulierende Plot, in dem die Akteure geradezu zwanghaft bei der Schicksalserfüllung des anderen Hilfestellung leisten. Die eigentliche Kriminalgeschichte erfährt eine im Verhältnis zu den anfangs hochgesteckten Erwartungen banale und unspektakuläre Auflösung, sie dient lediglich als Trägersubstanz für -kys Sicht eines Deutschlands nach der Wende, dessen Hypothek einer totalitären Vergangenheit nicht von jedem gerne in Aktien auf eine strahlenden Zukunft eingetauscht wird. Wären da nicht die smarten, mit allen Wassern krimigerechter Schlagfertigkeit gewaschenen Verfechter demokratischer Grundwerte, fiele nicht nur Ostdeutschland, sondern die gesamte BRD den Schalmeientönen unverbesserlicher Antidemokraten anheim.

Den Hoffnungsträger der "Gerechtigkeits-Partei" Wolfgang Wille, der sich im Verlauf des Romans von einem dubiosen Populisten zu einem Menschen mit hohen ethischen Normen und angewandter Bescheidenheit wandelt, plaziert der Verfasser mitten in ein ideologisches Niemandsland voller hohler Phrasen und dröhnender Slogans. Mit Plattheiten wie "Wo ein Wille ist, ist ein Weg" reitet er auf dem abgedroschenen Thema politischer Inhaltsleere herum und reproduziert unermüdlich das bekannte Bild des nach außen hin erfolgreichen, aber innerlich zerrissenen Demagogen. Dabei bedient er sich der altbekannten Praxis, das Scheitern vieles versprechender und nichts einlösender Politiker im Nachhinein psychologisch zu begründen, obwohl der Widerspruch zwischen Lebensrealität und Anspruch sicherlich keine Domäne politischer Propagandisten ist.

-ky jedenfalls setzt ganz auf den überstrapazierten Ductus rechter Dogmatik, wenn es ihm darum geht, auch dem unbedarftesten Leser die Botschaft von der Gefährlichkeit unetablierter Parteien einzubimsen, die sich natürlich noch potenziert, wenn diese auf ein, wie könnte es anders sein, dummes Volk treffen:

'Und ich schreie den Satz des großen Aristoteles so laut in dieses verlotterte Land hinaus, daß ein jeder es hören muß: 'Gerechtigkeit ist Gleichheit. Das weiß jeder, und es braucht nicht bewiesen zu werden.' Nur die Dummköpfe an der Spitze unserer Gesellschaft wissen es nicht, diejenigen, die einem halbgaren Nachwuchsdirigenten 560000 Mark im Jahre zahlen, aber eine alleinerziehende Mutter, eine Arbeitslose unter Hunderttausenden, mit 500 Mark in den Selbstmord treiben. ... Meine Damen und Herren, das ist doch das politische Credo der Herrschenden dieses unseren Landes: 'Wo Mist ist, kommt Mist dazu.' Und wieder raste der Saal, spien die Anwesenden ihre Empörung aus wie Vulkane lange angestaute Lavamassen. Fast gelangweilt, als ginge ihn dies alles nichts an, sah er auf die Menschen hinunter. Was hatte das mit ihm zu tun? Nichts. Und warum machten diese Idioten so einen Wahnsinnslärm? Was wollten sie hier? So dämlich konnte doch keiner sein, wegen dieser Scheiße, die er hier erzählte, seinen Fernsehsessel zu verlassen. Er wollte es nicht, aber es zwang ihn unwiderstehlich, die rechte Faust zu ballen, hochzurecken. Kraft und Sieg.

Der ansonsten der Transformation durch sanftes Managements à la Gerken verpflichtete Wille scheint seine Rolle also nur mit zynischsten Kommentaren einnehmen zu können. Das immer deutlicher werdende Psychogramm einer gespaltenen Persönlichkeit entfaltet sich einige Kapitel später auf eine derart stereotype Weise, daß auch die letzte Hoffnung auf etwas anderes als die hausbackene Psychologie eines Dr. Markus der Kriminalromane erlischt. Wille wird als verklemmter Mann mit kindlichem Gemüt und dominanter Ehefrau, die alle Fäden seiner Karriere zieht, geschildert und entpuppt sich schließlich als zur Adoption freigegebener Sohn eines Serienmörders, eben als ungeliebter "Satansbraten", so daß kein Zweifel an der sozialpsychologischen Genese von Diktatoren bleiben kann.

Psychoanalytische Strickmuster aller Art scheinen ein besonderes Steckenpferd des Soziologen bei der Zeichnung seiner Protagonisten zu sein. Auch die Journalistin Jana Angermann, die für den Fernsehkanal ENTER-Eins ein Porträt des neuen Hoffnungsträgers zusammenstellen soll, wird von einer explosiven Mischung verquerer Gefühle angetrieben und bewegt sich in einem Irrgarten der Projektionen und Übertragungen, in dem ihr anfänglicher Haß auf Wille in heftige Liebe umschlägt. Für beide verläuft die Geschichte als eine Art seelischer Reinigungsprozeß, an dessen Ende Wille seine politischen Ambitionen aufgibt, dafür aber seine zukünftige Gattin Jana in dessen Fußstapfen tritt.

Am Wegesrand dieser von nagenden Selbstzweifeln und schlagartigen Erkenntnissen durchsetzten Real Life Analyse tummeln sich eine Vielzahl urdeutscher Charaktere, die einerseits einem märkischen Heimatroman oder einer Zille-Zeichnung entsprungen sein könnten, andererseits aber die Häßlichkeit und Dumpfheit ostdeutschen Bürgertums verkörpern sollen. Vom Hochsitz soziologischer Typologie aus bemüht sich der Verfasser angestrengt um derbe Volkstümlichkeit und erreicht dabei nur, daß die Figuren geradezu an burschikoser Lässigkeit ersticken und sich kaum von einer an Kretschmer und schlimmerem gemahnenden Charakterlehre lösen können.

So kommt es zwischen dem sympathischen Kommissar Mannhardt, der innerlich durch Beziehungsprobleme zerrissen und mit einer Vergangenheit als Sucher in Sachen Selbsterkenntnis genz den empfindsamen Typ Mann verkörpert, und seinem neuen ostdeutschen Vorgesetzten Koppatz zu inhaltsschweren Dialogen, in die -ky das ganze Dilemma östlicher Borniertheit und westlicher Arroganz packt:

Koppatz klopfte mit dem Ende seines silbernen Kugelschreibers auf die Tischplatte. 'Bitte! Wenn wir uns einigen könnten, daß im Augenblick nur einer redet ...' 'Richtig', merkte Mannhardt an. 'Schließlich sind wir ein Kollektiv.' ... 'Über die Notwendigkeit von Führung brauchen wir wohl nicht lange zu streiten.' 'Doch.' Mannhardt lehnte sich zurück. Dank der ewigen Diskussionen mit Heike und etlicher Fortbildungsveranstal- tungen zu diesem Thema fühlte er sich schon von vorneherein als Sieger. Dieser Koppatz mit seiner Schnelltünche in moderner Organisationskunde war gewiß kein ernstzunehmender Gegner. 'Führung ist mir sowieso suspekt. Weil es mich an Führer erinnert. Führer befiehl, wir folgen. Aber lassen wir das ...' ... 'Ich bin hierher nach Oranienburg abgeordnet worden, um unter anderem das Prinzip kooperativer Führung zu predigen', sagte Mannhardt. 'Da unterscheiden wir die partizipative Dimension, die Teilhabe der Mitarbeiter am Entscheidungsprozeß, und die prosoziale oder sozioemotionale Dimension, die Teilnahme, also Offenheit, Vertrauen, soziale Sensibilität ...' 'Wenn ich behaupte, daß die systematische Detailarbeit von ihnen bisher vernachlässigt worden ist, dann habe ich objektiv und faktisch recht.' 'Die Partei hat immer recht.' Mannhardt wußte, das dies eine Kriegserklärung war.

Und diese Kriegserklärung findet in dem Roman immer dann statt, wenn der Autor die Wessi-Schablone vom ewig gestrigen Ossi auflegt, der nicht bereit sei, sich moderner Sozialtechnokratie zu unterwerfen und marktwirtschaftlichen Realitäten anzupassen. Während er die Landschaft der Mark Brandenburg mit ausladenden Bildern, Fontane-Zitaten und historischen Exkursen ausführlich würdigt, wobei man ihm den Berliner anmerkt, der nach langem Inseldasein endlich das Umland erobert, besteht die dort heimische Bevölkerung laut -ky entweder aus sympathischen Dissidenten und stillen Verweigerern früherer DDR-Loyalität oder murrenden Arbeitslosen, intriganten Stasi-Mitgliedern und Kulturschaffenden nach Art eines Herrmann Kant, die für kümmerliche Privilegien jede Ergebenheitsbekundung leisteten. Der Westler kennt diese literarischen Quislings vor allem aus Talkshows, die nach Aussagen des hier geschilderten Prototyps auch die Haupteinkommensquelle darstellen, und so bestätigt -kys mit "Sudel-Ede" verglichene Schriftstellerin all das, was man ohnehin schon über DDR-Literatur wußte:

Es war Paula Koppatz, die ihn seit einer gemeinsamen Kubareise vor gut zwanzig Jahren in ihr großes Kämpferinnenherz geschlossen hatte, sozialistisches Urgestein im Schriftstellerverband. Aufgrund ihrer doch arg begrenzten literarischen Begabung weit hinter der Seghers oder der Wolf in der zweiten oder dritten Reihe. Was sie konnte, war aber nicht zu verachten gewesen, nämlich aus der Tristesse der märkischen Städte und Dörfer die romantischsten Fleckchen der Erde zu machen und Mangel so zu schildern, als würden erst mit ihm all die hohen Werte möglich werden: die Bescheidenheit, die Solidarität, die Liebe, aber auch Kreativität, Hoffnung, Zukunftsglaube.

-ky profiliert sich hier wie an vielen anderen Stellen als Propagandist einer Bundesrepublik, die zwar einige unerfreuliche Probleme wie Massenarbeitslosigkeit, organisierte Kriminalität und soziale Isolation aufweist, als offenes System der Partizipation aller jedoch einen Ausbund an Freiheit und Menschenfreundlichkeit darstelle. Die häßlichen Erscheinungen einer abgewickelten Wirtschaft gehen aufs Konto einer verfehlten Politik, die sich jedoch mit Menschen wie Wille und seinen immer wieder angeführten Methoden des sanften Managements und angewandten Taoismus beheben lassen. Der letzte Satz des Buchs, "Jana Wille in den Bundestag", kombiniert schlußendlich privates Happy End mit parlamentarischer Zukunftshoffnung und faßt nocheinmal die Botschaft von der Ideallösung für alle Probleme zusammen, die in psychotherapeutisch initiierter Selbsterkenntnis und politischem Pragmatismus liegt.

Die von ihm als arrogant und dümmlich abgetane Weltsicht der "verblasenen Hochliteraten" ist vielleicht nicht so kurzweilig zu lesen wie der anscheinend aus Versatzstücken gehobener Illustrierten zusammengesetzte Roman "Der Satansbraten", doch diese machen sich zumindest manchmal Gedanken über die eigene Rolle bei der deutsch-deutschen Bezichtigung. -ky hingegen spricht Klartext und tut dies mit der sichtbaren Befriedigung dessen, der sich auf der Seite der Sieger weiß:

Der Mythos des Aufbruchs, die DDR als Großversuch einer gemütlichen Gesellschaft. Konnte man die Überlebenden des Nazistaates tadeln, daß sie im Namen des Guten eine Gegenwelt entworfen hatten? Dabei waren sie elendig gescheitert. Überall an den Fassaden klebten und hingen die Symbole der Sieger, ihre Fahnen und die Feldzeichen des westdeutschen Kapitalismus.

Die für dieses Dilemma Verantwortlichen verfügen aber noch über beträchtliche SED-Millionen und hecken finsterste Pläne aus, um im neuen Deutschland ihren Einfluß geltend zu machen. Ein Star- Anwalt namens Hurtienne, vom französisch klingenden Namen her merkwürdigerweise stark an Maizière erinnernd und wie dieser mit den alten Mitgliedern der Nomenklatura immer auf gutem Fuße steht, schafft nach dem Vorbild der italienischen Loge P2, die in allen gesellschaftlichen Entscheidungszentren ihre Vertreter hatte, und der US-Kirche Scientology als weltanschaulichem Aushängeschild eine konspirative Elite. Verpackt ist das Ganze in altsprachliche Symbolik, wobei dem Leser nicht entgehen kann, daß der vermeintliche Symbiont wohl eher ein Parasit ist:

'Mü, das ist ein Kunstwerk, das wir gestalten wollen, eine Loge hätte man früher gesagt. Das Schlüsselwort heißt Mykorrhiza, griechisch mykes, der Pilz, und rhiza, Wurzel. Das ist die Symbiose zwischen höheren Pflanzen und bestimmten Pilzen, das heißt, die Wurzelspitzen von Waldbäumen sind von einem Pilzmantel umgeben, der mit seinen Fäden die Verbindung von Boden und Baum herstellt. So sehe ich auch die Mykorrhiza- Loge - die mit dem dicken µ im Logo - als Verbindung von Organisationen und Volk. In jedem wichtigen gesellschaftlichen Bereich - Politik, Kultur, Religion, Wirtschaft, Wissenschaft und Medien vor allem - wollen wir unseren Einfluß geltend machen.'

Hurtienne benutzt den "Satansbraten" Wolfgang Wille, dessen Herkunft als Sohn eines Lust- und Serienmörders ihm bekannt ist, als politisches Werkzeug und scheut bei der Umsetzung seiner Pläne auch vor Mord nicht zurück. All das natürlich unter dem Deckmäntelchen der vielversprechenden Utopie, bei der durchtriebenste Herrschaftsprinzipien zur Anwendung kommen sollen. Was nun konkret hinter dieser Verschwörung außer der Anhäufung von Macht und Verfügungsgewalt steckt, läßt sich allerdings in dem Roman nicht in Erfahrung bringen. So zeigt sich das Komplott Hurtiennes, der bei seiner Charakterisierung nicht umsonst mit Klaus Manns "Mephisto" Gustaf Gründgens verglichen wird, als allgemein verwendbares Symbol für aus totalitärem Denken geborene individuelle Machtanmaßung und muß als solche auch den Weg aller Verblendung zum letztendlichen Scheitern nehmen.

Denn die Einheitsfront der Guten hat sich schon lange formiert und besteht vor allem aus unkorrumpierbaren Staatsdienern, die ohnehin hinter jeder weltanschaulichen Vision das Wirken unbelehrbarer Ideologen wittern. Die Journalistin Jana erkennt die Loge als treibende Kraft hinter ihrem Wolfgang, und der bereits ermittelnde Staatsanwalt erklärt ihr die mit der Intelligenz des Bösen ausgetüftelten und daher gut getarnten Mechnismen der Versklavung:

'Das µ-Geflecht soll alles durchdringen. Ein Kunstwerk soll es werden. Die Steuerung einer großen und hochmodernen Gesellschaft ist nicht mehr durch Befehl und Gehorsam und noch weniger durch Panzer und Bajonette möglich, sondern nur durch ganz, ganz feine Impulse, die die Leute glauben lassen, sie würden sich selber leiten. Vorgetäuschte Autopoiesis möchte ich das nennen. Der wahre Herrscher ist heute der, dem dies gelingt. Wir müssen annehmen, das alles, was wir tun, aus uns selber kommt und nicht von anderen. Autonom sein ist alles. Autopoiesis ist alles.'

Hier verschwimmen allerdings die Grenzen zu herkömmlichster Anwendung politischer Macht, wie sie alltäglich mit den Mitteln des PR-Apparates von Regierung und Parteien betrieben wird. Wer kann schon mit Sicherheit behaupten, daß die Wahl einer bestimmten Partei oder die vermeintlich persönliche Entscheidung in einem größeren Verwaltungsablauf wirklich nur von ihm getroffen wird? Wer weiß nicht davon, daß es sich bei dem guten Gefühl, das Richtige zu tun, häufig um eine durch soziales Umfeld, modische Trends oder ideologische Dogmen erwirkte Anpassungsleistung handelt?

Auch der skrupellosen Fernsehjournalismus im Stile sogenannten Reality-TVs kolportierende Sender ENTER-Eins, der alle dramatischen Ereignisse des Romans hautnah begleitet und dabei in den Verdacht gerät, am Zustandekommen der Bluttaten Anteil gehabt zu haben, entpuppt sich schließlich als Instrument der ostdeutschen Verschwörung. Das wäre angesichts bundesdeutscher Medienrealität kaum nötig gewesen, hat doch jede große Fernsehanstalt ihre Interessenvertreter und Lobbyisten, ohne daß man sie gleich der Verschwörung bezichtigt. Oder hatte der Verfasser hier gar bestimmte Sender im Auge, die nicht etwa proportionale Gesellschaftswirklichkeit abbilden, sondern als Agenturen ganz bestimmter, möglicherweise revanchistischer Interessen fungieren?

Es stellt sich schließlich heraus, daß alle Personen, die in nostalgischer DDR-Rührseligkeit schwelgen oder profitable Morgenluft wittern, zum Dunstkreis dieser Verschwörung gehören und nachhaltig totalitären Ambitionen frönen. Wolfgang Wille hingegen revidiert seine Gerechtigkeitsvorstellung im Showdown mit seinem Mentor, wo sich selbst angesichts drohender Pistolen ein tiefsinniger Dialog entspinnt.

'Die uralten Utopie von der gerechten Ordnung und dem Aufgehen in kosmischer Eintracht. Aber das ist am Anfang immer nur mit einzelnen Morden zu schaffen und endet stets im Massenmord. Es gibt nur eine Ordnung, die uns hundertprozentig Ruhe und Frieden bringt: die Erstarrung alles Lebendigen, die perfekte Ordnung als Folge des Todes. Leben ist eben immer Ungerechtigkeit, Chaos und Verbrechen. Nur so erhält es sich. Dies ist die unumstößliche Vorgabe des Kosmos. Darum werden sich über kurz oder lang totale Ordnungen wie die unter der Flagge des µ immer selbst zerstören.' Hurtienne klatschte Beifall. 'Ich hab's ja immer gewußt, Wille: Sie sind mein Mann. Wunderbar, wie sie das formuliert haben. Natürlich zerstört sich µ selber - wie sich alles im Kosmos selber zerstört. Aus diffuser Materie klumpen sich die Sonnen zusammen, strahlen hell und spenden Leben, um dann als Supernova zu explodieren oder sich anders zu verbrauchen. So auch mit µ. Wir erfüllen unsere Mission und verschwinden dann wieder von der Erde, so wie die Sonnen vom Himmel verschwinden.'

Nachdem Wille aus dem Alptraum der Gerechtigkeitsforderung erwacht ist und zum politischen Pragmatismus zurückgefunden hat, was der diabolische Hurtienne sofort für seine Zwecke auszunutzen versucht, wendet sich schließlich alles zum Guten. Ob das Postulat unumstößlicher kosmischer Vorgaben weniger totalitär ist als das elitäre Denken eines Visionärs, der die Macht offensichtlich um ihrer selbst willen erlangen will, kann jetzt nicht mehr interessieren. Die Gefahr einer Unterwanderung des bundesdeutschen Machtgeflechts durch artfremde Interessen ist gebannt, und die Akteure können sich ganz dem privaten Glück hingeben, das bei -ky letztlich nicht anders aussieht als der angeblich kleinbürgerliche Mief ostdeutscher Datschen.


-ky
Der Satansbraten