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BUCHBESPRECHUNG/194: Jens Balzer - Pop und Populismus. Über Verantwortung in der Musik (Sachbuch) (Klaus Ludwig Helf)


Jens Balzer

Pop und Populismus. Über Verantwortung in der Musik

von Klaus Ludwig Helf, September 2020


Die Verleihung des Echo Pop 2018 der Deutschen Phono-Akademie an die Rapper Kollegah und Farid Bang in der Kategorie Hip-Hop/Urban National endete mit einem politischen Skandal und mit der Abschaffung dieses renommierten Preises. Was war passiert? Das Hip-Hop-Album Jung, brutal, gutaussehend 3 stieß auf breite und harsche Kritik insbesondere wegen der Textzeilen aus dem Song 0815 "Mein Körper definierter als von Auschwitzinsassen" und "Mache wieder mal 'nen Holocaust, komm'an mit dem Molotow", auch das gesamte Werk sei voll mit sexistischen und gewaltverherrlichenden Textpassagen. Das Album war in den ersten Monaten 200tausend Mal verkauft worden und hatte dreißig Millionen Streamings. Aus Protest gegen diese Preisverleihung gaben mehrere Preisträger ihren Echo zurück. Die Echo-Verleihung an Kollegah und Farid Bang hatte eine große öffentliche Aufmerksamkeit auf sich gezogen und markierte einen "entscheidenden Wendepunkt" in der deutschen Debatte über Popmusik - so der Autor des vorliegenden Bandes, der es sich zum Ziel gesetzt hat, das neu aufgestellte Spannungsfeld von Pop und Politik auszuloten; dabei sei dieses komplexer und komplizierter als es auf den Blick erscheinen mag.

Jens Balzer ist Autor und Kolumnist u.a. für DIE ZEIT, Deutschlandfunk, »Rolling Stone« und den rbb-Sender Radio Eins, moderiert gemeinsam mit Tobi Müller den monatlichen Popsalon am Deutschen Theater; ist künstlerischer Berater des Donaufestivals Krems, veröffentlichte u.a. »Pop. Ein Panorama der Gegenwart« (2016).

Nach der Einleitung über die Spannungsfelder des Pop folgen weitere zehn Kapitel, anschließend Dank und ein umfänglicher Anmerkungsapparat. Einige der Gedanken und Themen des Bandes seien - so der Autor - bereits in seinen Artikeln und Essays seit Anfang 2017 entfaltet worden. Sein Ziel sei es, die Polarisierung in unserer gegenwärtigen Gesellschaft zwischen reaktionären und emanzipatorischen Positionen zu untersuchen, die sich auch in der Kultur und vor allem auch in der Popmusik widerspiegele. Galt Pop früher immer als Medium der Aufrechten und links Engagierten für die Minderheiten und für die Schwachen in der Gesellschaft, so habe sich in den letzten Jahren der Mainstream innerhalb der Popmusik ganz bedenklich nach rechts verschoben. So verkünde der Kulturkritiker Georg Seeßlen bereits das Ende der Popmusik als emanzipatorische Ausdrucksform und es herrsche eine rechte Hegemonie durch die Infiltration rechtspopulistischer und neofaschistischer und identitärer Kräfte.

Jens Balzer argumentiert dagegen differenzierter, weniger holzschnittartig und kann dies in seinem Band auch eindrucksvoll belegen:

"Die Brutalisierung und Maskulinisierung, die diskriminierende, rassistische, patriarchalische, reaktionäre Grundierung weiter Teile insbesondere des massenbegeisternden Pop sind in der Tat erschreckend und in ihrem Ausmaß historisch neu. Doch finden sich sogleich starke Gegenkräfte, die in einem ebenfalls historisch neuen Ausmaß die misogyne Rhetorik im Pop und die patriarchalischen Strukturen der Kulturindustrie kritisieren und bekämpfen" (S. 11).

Als wirkmächtige Gegenkräfte benennt er u.a. die #metoo- und die #timesup-Bewegungen. Das Verhältnis von Pop und Politik könne man nicht nur auf den Populismus focussieren, sondern müsse auch die Polarisierung in unserer gegenwärtigen Gesellschaft einbeziehen, den Widerstreit zwischen reaktionären und emanzipatorischen Positionen: "Wer vom Populismus redet, muss auch von der Polarisierung der Gesellschaft reden; von dem Dis-Konzert der vielfältigen Stämme, in dem der rechte Populismus eine Stimme unter anderem ist" (S. 185). Zentrale Motive wie Sexismus, Homophobie, Maskulinismus und Antisemitismus könne man bereits seit Anfang der nuller Jahre beim Gangsta-Rap von Bushido, Sido und den Aggro-Berlin-Rappern deutlich nachweisen, der als "Ghetto und Laboratorium der politischen Inkorrektheit von rechts" (S. 46) fungiert habe. Als Migranten und damit sozialen und kulturellen Außenseitern habe man ihnen ihre gewalttätigen und schrillen Texte, reaktionären und rechtsextremen Fantasien und Denkweisen zugestanden.

Auch den linken, emanzipatorischen und multikulturell orientierten Kritikern sei es unter Hinweis auf die gesamtgesellschaftlichen Entwicklungen zunächst schwergefallen, diese dramatischen Entgleisungen deutlich in die Schranken zu weisen:

"Nicht die rappenden Subjekte tragen die Verantwortung für ihre diskriminierenden Texte, sondern die 'Gesellschaft' ... Was sich in der schrillen Übersteigerung durch Männer aus Minderheitskulturen zeigt - das sind Einstellungen, Werte und Verhaltensweisen, die wesentlich aus der Mehrheitskultur stammen" (S. 47/48).

So komme den deutsche Gangsta-Rappern der ersten Generation das Verdienst zu, die "breite kulturelle Verschiebung nach rechts" in doppelter Weise mit vorangetrieben zu haben: "...als stereotype Verkörperung der vom Populismus beschworenen Gefahr eines gescheiterten Multikulturalismus und als Protagonisten jenes patriarchalischen Männlichkeitsbilds, das im innersten Kern des populistischen Weltbilds liegt" (S. 50). So wie der Rechtspopulismus heute zu "weiten Teilen den kulturellen und politischen Diskurs" präge, sei der Gangsta-Rap seit Bushidos Erfolgen zum "prägenden Genre in der deutschen Popmusik" zumindest in den Hitparaden aufgestiegen.

Damit seien die oben genannten menschenverachtenden, reaktionären und hasserfüllten Texte und Einstellungen zu selbstverständlichen Konstanten in der Rhetorik des Pop geworden. Bushido und Co. wurden damit zu kulturellen Steigbügelhaltern des reaktionären Mainstreams. Pop sei ohne Provokation und ohne Spielen mit Tabubrüchen nicht denkbar, habe aber auch Grenzen dort, wenn es um die Würde der Menschen und um die Erhaltung freiheitlicher, republikanischer und demokratischer Errungenschaften der Aufklärung gehe. Verrohung, Brutalität, Aufrufe zur Gewalt, Sexismus und Rassismus dürfe man nicht widerspruchslos dulden.

Der Autor bleibt am Ende seiner Betrachtungen leider sehr unentschlossen und vage, was die Entwicklung von Handlungsstrategien angeht:

"Was bleibt? Das ist das Insistieren darauf, dass guter, schöner, emanzipierte Pop immer eine Ästhetik des Werdens und der Grenzüberschreitung verfolgt; eine Ästhetik der Verunsicherung und der Überschreitung überkommener Verhältnisse; und eine Ästhetik des Empowerments all jener Menschen, die nicht so leben wollen oder können, wie es ihnen von den Verhältnissen vorgegeben wird ... wichtig ist nur, dass alle gemeinsam die Freiheit feiern, miteinander verschieden und darin doch einig zu sein: das ist die popkulturelle Utopie der Solidarität" (S. 186).

Die Freiheit der Kunst dürfe weder einem moralischen Rigorismus noch politischen Interessen geopfert werden, man müsse sich über die roten Linien verständigen und zwischen populär und populistisch unterscheiden.

Jens Balzer gibt in seinem Band einen guten Überblick über die verschiedenen Entwicklungen und Zusammenhänge, in denen Pop nach rechts gedriftet, menschenverachtend und aggressiver geworden ist und damit den rechtspopulistischen und rechtsextremen politischen Strömungen kulturellen Rückhalt gibt. Gleichzeitig verbindet er die skandalösen Erscheinungen in der Musik mit den gesellschaftlichen Entwicklungen und zeigt an vielen Beispielen, dass Pop auch immer ein Spiegelbild der Gesellschaft war und ist. In den massiven Grenzüberschreitungen und sprachlichen Verrohrungen des Mainstream-Pop sieht Balzer deutliche Parallelen zu den gesellschaftlichen Zuständen einer erschreckend aggressiven und polarisierenden Diskussions-Un-Kultur z.B. in den Online-Medien, wo man den Eindruck gewinnen kann, dass weite Teile der Gesellschaft nicht mehr in der Lage oder bereit seien, sich untereinander trotz unterschiedlicher Meinung zivilisiert zu verständigen.

Auch der Sexismus im aktuellen Pop stehe in einer - nicht gründlich aufgearbeiteten - Tradition; Balzer erinnert an die widerlichen sexistischen Exzesse von Rock- und Pop-Idolen wie David Bowie, Iggy Pop oder Jimmy Page. Nur wer bereit sei, die "großen weißen Männer, die heiligen Genies der überkommenen Rockmusik, an denselben Maßstäben zu messen wie die devianten Rapper der Gegenwart", könne verstehen, dass der Sexismus des aktuellen Pop nicht erst von migrantisch oder minoritär markierten Gruppen in eine "vermeintlich emanzipierte Mehrheitsgesellschaft" importiert worden sei, sondern dass er "immer schon im Herzen dieser Mehrheitsgesellschaft wohnte und dort weiterhin wohnt; und dass wir, wenn wir ihn kritisieren und überwinden wollen, nicht nur einen weiten Weg vor uns haben; sondern hinter uns auch eine lange Geschichte des Sexismus und der sexualisierten Gewalt, die nicht einmal in Ansätzen aufgearbeitet oder auch nur eingestanden ist" (S. 86).

Jens Balzer hat ein sehr gut lesbares, fundiert recherchiertes, kulturkritisches Buch geschrieben mit analytisch scharfem und differenzierendem Blick auf die Gesamtgesellschaft.

Jens Balzer
Pop und Populismus. Über Verantwortung in der Musik
Edition Körber Hamburg 2019
206 Seiten
17,00 EUR

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Quelle:
© 2020 by Klaus Ludwig Helf
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. September 2020

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