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BUCHBESPRECHUNG/092: "Der Teufel und seine Engel" von Kurt Flasch (Sachbuch) (Klaus Ludwig Helf)


Kurt Flasch
Der Teufel und seine Engel. Die neue Biografie

von Klaus Ludwig Helf, Januar 2016


Die Ausgestaltung und Deutung des Teufels (von griechisch Diábolos: Verwirrer, Faktenverdreher) als die Personifizierung des Bösen schlechthin findet man in verschiedenen Religionen, insbesondere im Judentum und im Christentum, aber auch im Islam und im Buddhismus. Es gibt unterschiedliche Auslegungen und Namensbezeichnungen für den Teufel je nach Religion, Kulturepoche und Geografie. Jahrhundertelang wurde mit dem Teufel in Europa der Alltag der Menschen und auch Politik und Gesellschaft aufgemischt bis er allmählich im Zuge der Aufklärung und der fortschreitenden Säkularisierung seine zentrale Bedeutung verloren hatte. Doch wer glaubt, wir seien den Teufel endgültig los, der irrt. So hat Papst Johannes Paul II. das Ritual der Teufelsaustreibung von 1614 im Jahr 1998 (!) überarbeitet und erneuert; nach wie vor gehört "Die Absage an den Teufel" in der römisch-katholischen Kirche zum Ritus der Taufe. Auch evangelikale Fundamentalisten handeln mit der Drohung des Teufels. Der Zusammenhang zwischen Gott und Teufel scheint auch trotz der Aufklärung nach wie vor enger zu sein als man vermuten könnte. Es waren auch nicht die Reformatoren, die eine Befreiung vom Teufelsglauben gebracht hätten, sondern im Gegenteil: Luther z.B. witterte hinter allem die Macht des Teufels vor allem bei der katholischen Kirche.

Kann denn das Christentum ohne Teufel auskommen? Kurt Flasch, der Autor der jetzt vorliegenden "neuen Biografie des Teufels", antwortet am Schluss seiner Analyse knapp und präzise: "Vermutlich muss Gott fahren lassen, wer Satan wirklich loswerden will - Gott in der Kirchen-Fassung, biblisch und jenseitig" (S. 400). Flasch befürchtet auch, dass im "Rausch des drohenden Lutherjubiläums von 2017" die Tatsache unter den Teppich gekehrt werden wird, dass Luther den Teufelsglauben beflügelt hatte.

Kurt Flasch (*1930) studierte Philosophie, Geschichte, Gräzistik und Germanistik und war von 1970 bis 1995 Ordinarius für Philosophie im Philosophischen Institut der Ruhr-Universität Bochum. Als international anerkannter Philosophiehistoriker ist er spezialisiert auf die Philosophie der Spätantike und des Mittelalters; er verfasste zahlreiche Publikationen und wurde mehrfach mit Preisen ausgezeichnet; seine Bochumer Abschiedsvorlesungen bilden die Grundlage für seinen Band "Warum ich kein Christ bin. Bericht und Argumentation" (2013), in dem er seine Abkehr vom Christentum begründet.

Flasch beginnt seine Biografie des Teufels mit einer steilen These: "Wer Europa kennen will, muß Gott und den Teufel erkunden. Beide haben dort lange geherrscht." (S. 15) Mit dem Teufel als Gegenspieler Gottes habe sich die vorherrschende christliche Lehrmeinung gründlich in den Alltag der Menschen und auch in die Politik eingemischt. Der Teufel sei verantwortlich gemacht worden für die kleinen und großen Probleme und Katastrophen aller Art, persönlicher, sozialer, biologischer oder gesellschaftlicher Natur (u.a. für Liebesleid und sexuelles Verlangen, für Pest und Cholera, Blitz und Donner, Erdbeben und Fluten, Epidemien, für Hunger, Armut und Kriege): "In der überwiegenden Zeitspanne ihres Bestehens hielt die Christenheit Satan für den Herrn dieser Welt, wenigstens bis zu seiner endgültigen Fesselung nach der Endzeit. Er konnte fast alles; er war für den einfachen Christen mit Gott verwechselbar." (S. 388) Dies sollte sich erst allmählich seit der Aufklärung ändern. Die Auffassungen vom Teufel seien in Europa keineswegs - wie oft auch in der Wissenschaft behauptet wird - starr dogmatisch fixiert gewesen - auch nicht im Mittelalter. Vielmehr habe der Teufel eine höchst wechselhafte und wandelbare kulturelle, religiöse und politische Geschichte im Auf- und Niedergang; europäische Intellektuelle seien für diesen Transformationsprozess des Teufels verantwortlich zu machen:

Sie dachten produktiv nach über diese altorientalische Erblast. Sie gaben ihm Namen, Rang und Stimme und gestalteten im Blick auf Gott und ihn ihr öffentliches und ihr familiäres Leben ... Er nahm die Form an, die gebraucht oder gefürchtet wurde. Er wechselte sein Gesicht. Er paßte sich den Europäern an, die ihn riefen. Sie bedankten sich, indem sie seine Natur erhöhten. (S. 15)  

Diese "europäische Denkarbeit am Teufel", die Auseinandersetzungen darüber und den Wandlungsprozess bis zum Abbau der Teufelsvorstellungen in der Neuzeit will Flasch in seinem Band an ausgewählten Stationen philosophiegeschichtlich - nicht theologisch - untersuchen. Hinsichtlich der Funktion des Teufels als religiöses und gesellschaftliches Macht- und Herrschaftsinstrument kommt er dabei zu folgendem Ergebnis:

Der Gesamtkomplex von Teufel, Dämonen und Hexen und Besessenen war flexibel und in Einzelteilen umbaufähig; in Krisenzeiten ließ er sich apokalyptisch zuspitzen ... Für viele Jahrhunderte war die europäische Elite davon überzeugt, dass Höllenstrafen gepredigt werden müssen. Nur die Angst vor ihnen halte die Unterschichten botmäßig. Ohne diese Drohung würden die Bauern den Zehnten verweigern, die bürgerliche Moral verschwände. (S. 390)  

Flasch analysiert in einem weiten Bogen die Entstehung und die Wandlungsprozesse der religiösen und philosophischen Vorstellungen und Ausgestaltungen des Teufels und seiner Engel, den Aufstieg und Niedergang des Teufels zu einer Zentralfigur des Christentums bis zu seinem allmählichen Verschwinden und seiner Verwandlung in die zynische Theaterfigur des Mephisto bei Goethe. Beim Sündenfall im Paradies wurde der Teufel erst im Nachhinein reininterpretiert, mit der Prüfung des Hiob wurde er als normales Mitglied des Hofstaates Gottes beauftragt und erst im Neuen Testament wurde er als Gegenspieler Gottes und böser Verführer der Menschen eingeführt und eigentlich mit dem Kreuzestod Jesu besiegt. Die Kirchenväter vitalisierten ihn zunächst als "Lufttier" (Augustinus), das in die Kreaturen dämonierend eindringe; die Scholastiker "beförderten" ihn dann zu einem geistigen Wesen, das mit eigenem Hofstaat Gott gleichgestellt wurde.

Aber mit dem Aufstieg des Teufels gab es auch schwerwiegende theologische und philosophische Probleme zu lösen: Wie kann der Teufel mit seinen Dämonen die Welt beherrschen trotz der Allmacht eines gütigen Gottes? Wie kann ein dämonisiertes, geistiges Wesen in der körperlichen Hölle schmoren? Flasch beschreibt aber nicht nur die z.T. heftigen theologisch-philosophischen Diskussionen und Streitereien über die Deutungen des Teufels, sondern auch deren einschneidende reale Auswirkungen und Prägekraft auf die alltägliche Lebenswelt und das Denken der einfachen Menschen; vor allem durch die verhängnisvolle Verknüpfung von Satan, Sexualität und Sünde und von Teufelsglauben und Hexenwahn sei unvorstellbares physisches und psychisches Leiden geschaffen worden. Erst allmählich sei durch die Philosophie der Aufklärung, durch naturwissenschaftlichen Erkenntniszuwachs und durch demokratische Erneuerungsbewegungen und neue Weltsichten der Teufelsglaube entzaubert und zurückgedrängt worden. So resümiert Flasch den Wandlungsprozess des Teufels:

Solange er noch mit jedem Blitzschlag quasi-vernünftig in Verbindung gebracht werden konnte und hinter jeder attraktiven Frau als Verführer lauerte, war er präsent; bei veränderter Weltansicht verlor er diese Köder. Er wurde funktionslos und kam im produktiv-lebenden Bewusstsein nur noch literarisch vor. Das Christentum ohne den Teufel schien freier zu werden, zwangloser, optimistischer, aber es wurde auch inhaltsarm und blass ... Unter der Sonne Satans ist es langweilig geworden. Der Teufel bewirkt höchstens noch bloß individualpsychologische Fehlgriffe, 'Bosheiten' genannt. (S. 400)  

Flasch hat seine jahrelangen Forschungen in ein sehr gut lesbares Buch gegossen, mit wissenschaftlichem Anspruch, aber auch für philosophisch-theologische Laien anschaulich, verständlich und klar, zuweilen mit Ironie geschrieben; es ist ein wichtiges Buch, weil Flasch darin auch die gesellschaftliche Sprengkraft religiöser und moralischer Ideologien am Beispiel der Wandlungen des Teufelsglaubens über Jahrhunderte hinweg vorzüglich beschreibt und analysiert.

Kurt Flasch:
Der Teufel und seine Engel.
Die neue Biografie.
2. Auflage 2016
C.H. Beck, München 2016
462 Seiten
26,95 Euro
ISBN 978-3-406-68412-8

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Quelle:
© 2016 by Klaus Ludwig Helf
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Januar 2016

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