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BIBLIOTHEK/369: Gedrucktem Kulturgut droht Gefahr (TU Dresden)


Dresdner UniversitätsJournal Nr. 16 vom 15. Oktober 2008

Gedrucktem Kulturgut droht Gefahr
Bestandserhalter Frühauf: "In dem Tempo brauchen wir 300 Jahre für die Restaurierung"

Von Heiko Weckbrodt/DNN


Über zehn Jahre hat Wolfgang Frühauf, der ehemalige Direktor der Landesbibliothek, die "Sächsische Landesstelle für Bestandserhaltung" in Dresden geleitet. In dieser Zeit koordinierte er vom TU-Campus aus die Bemühungen, wertvolle Bücher im ganzen Freistaat vor dem Zerfall zu retten, das gedruckte sächsische Kulturgut zu erhalten. Demnächst geht der 63-Jährige in den Ruhestand. Im Gespräch mit DNN-Redakteur Heiko Weckbrodt zog er nun eine Bilanz.

UJ: Was ist geschafft, was ist noch zu tun?

WOLFGANG FRÜHAUF: Bei den Zeitungen sind wir gut vorangekommen. Kurz nach dem Start der Landesstelle im Jahr 1997 haben wir die Mikroverfilmung der historischen Zeitungen in Sachsen angeschoben. Inzwischen sind 500 Zeitungstitel verfilmt. Das ist aber nur ein Drittel der 1.500 Zeitungstitel, die überliefert sind. Insgesamt gab es über die Jahrhunderte hinweg 3.500 verschiedene Zeitungen im Land, von denen aber nicht alle erhalten blieben.

UJ: Wie sieht es mit den Büchern aus?

WOLFGANG FRÜHAUF: Wir konnten bisher 45.000 Bände entsäuern und 1.500 Bücher restaurieren. Machen wir in dem Tempo weiter, brauchen wir allerdings noch 300 Jahre für die Restaurierung des beschädigten, aber erhaltenswerten Buchbestandes. Bis dahin wären viele wertvolle Bände längst verloren.

UJ: Wie das?

WOLFGANG FRÜHAUF: Drei Viertel aller Bücher in den Bibliotheken, Archiven und Museen in Sachsen stammen aus der Zeit zwischen 1860 und 1990, als auf säurehaltigem Papier gedruckt wurde. Dieses Papier hat eine Lebensdauer zwischen 50 und 200 Jahren und vergilbt erst, verbräunt dann und zerfällt schließlich in der Benutzung. Durch Massenentsäuerung aber kann die Lebensdauer der Literatur aus dieser Zeit um 200 bis 400 Jahre verlängert werden. In den vergangenen zehn Jahren haben wir etwa zehn Prozent der vom Papierzerfall betroffenen Bestände behandelt. Das Papier aus der Zeit vor 1860 hält bis zu 1000 Jahre, weil es aus Lumpen und mit Gebirgswasser hergestellt wurde, wodurch es längere Fasern und alkalischen Charakter aufweist. Viele alte Handschriften auf diesem Papier haben aber das Problem, dass sie mit selbstangerührter säurehaltiger Tinte geschrieben wurden und die Säure in der Tinte das Trägerpapier zerfrisst. Bisher haben wir gerade mal zwei Prozent dieser Problembücher restaurieren können.

UJ: Warum geht das nicht schneller?

WOLFGANG FRÜHAUF: Die Ressourcen sind begrenzt. Unser Budget liegt um die 225.000 Euro pro Jahr. Dafür sind wir dem Wissenschaftsministerium sehr dankbar. Aber eigentlich müsste der Etat verdoppelt oder verdreifacht werden, um in einem akzeptablen Tempo mit der Bestandserhaltung voranzukommen. Manche sehen in der Digitalisierung den Königsweg aus der Misere. Die Scan-Roboter zum Beispiel, die sich die SLUB nun besorgt, können bis zu 2000 Seiten pro Stunde elektronisieren ... Die Digitalisierung ist tatsächlich bestens geeignet, um Informationen einfach und für jedermann zugänglich zu machen. Kernaufgabe unserer Landesstelle aber ist nicht die Zugriffsoptimierung, sondern die Originalerhaltung. Deshalb wollen wir kein Geld mehr für die Digitalisierung und deutlich mehr für die Massenentsäuerung ausgeben. Das Digitalisieren von Literatur wird von anderen Bibliotheksbereichen vorzüglich ausgeführt.

UJ: Welche Aufgaben sehen Sie für Ihren Nachfolger?

WOLFGANG FRÜHAUF: Ich werde ihm empfehlen, noch mehr öffentliche Bibliotheken auf regionaler Ebene in die Erhaltung unseres kulturellen Erbes einzubeziehen. Auch sollte er vor allem die Originalerhaltung forcieren. Eine weitere Zukunftsaufgabe könnte es sein, mit Dienstleistern die Entwicklung neuer Technologien der Originalerhaltung voranzutreiben.

UJ: Was liegt Ihnen zum Ende ihrer beruflichen Laufbahn am Herzen?

WOLFGANG FRÜHAUF: Deutschland ist großartig in der Erhaltung und im Wiederaufbau architektonischer Denkmäler. Es wird allgemein akzeptiert, dass viel Geld investiert wird, um kulturell bedeutsame Bauwerke zu retten. Für schriftliches Kulturgut haben wir das noch nicht erreicht. Deshalb geht mein Appell an die Politik, unsere Bibliotheken finanziell und personell besser in die Lage zu versetzen, das schriftliche Kulturerbe zu erhalten. Dafür sollte der Staat künftig einen noch größeren Beitrag leisten.


Zum Stichwort "Pergament-Anguss":

Die vierköpfige Restaurierungswerkstatt der Sächsischen Landes- und Uni-Bibliothek SLUB hat ein weltweit wohl einzigartiges Verfahren entwickelt, um stark zerstörte Pergament-Bücher zu restaurieren. Zum Einsatz kam es erstmals für zwei Corvinen - wertvolle handschriftliche und illustrierte Kopien aus der Bibliothek des ungarischen Königs Matthias Corvinus (1443-1490). Diese Bücher gehören zum Weltkulturerbe, die Dresdner Exemplare wurden jedoch 1945 schwer beschädigt. Da sie aus Pergament (Tierhaut) und nicht Papier bestehen, war ein besonderes Restaurierungsverfahren zu entwickeln. Dabei schwängern die Dresdner die vertrockneten Seiten zunächst in einer Klima-Kammer mit Feuchtigkeit, damit sie sich wieder auf ihre ursprüngliche Größe ausdehnen. Dann sprüht eine Spezialistin auf einem Ansaugtisch eine pergamentähnliche Suspension auf die Löcher, die dadurch gewissermaßen "zuwachsen". Massenentsäuerung bedeutet: Holzhaltiges Papier (vor allem 1860 bis 1990 verwendet) entwickelt mit der Zeit Ligninsäure, die das Material von innen zerstört.

Bei der Massenentsäuerung werden die Bücher oder Zeitungen stapelweise in einem großen Drahtregal zunächst in eine Vakuumkammer geschoben, um ihnen dort zuerst Lufteinschlüsse zu entziehen. Danach werden sie in einer Basenlösung gebadet, bis sie einen pH-Wert unter 7 (neutral) erreichen. Daneben gibt es auch aufwändigere Rettungsverfahren, die aber meist nur bei besonderen wertvollen Büchern zum Einsatz kommen.


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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 19. Jg., Nr. 16 vom 15.10.2008, S. 4
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
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veröffentlicht im Schattenblick zum 30. Oktober 2008