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REZENSION/031: Elsemarie Maletzke - Maud Gonne, Ein Leben für Irland (SB)


Elsemarie Maletzke


Maud Gonne

Ein Leben für Irland



Im Rahmen der Feierlichkeiten und der sie begleitenden öffentlichen Debatte zum 100. Jahrestag des Osteraufstands von 1916 in Irland wird der bislang auf unverzeihliche Weise vernachlässigte patriotische Einsatz der Frauen beim Schlüsselereignis des irischen Freiheitskampfs besonders gewürdigt. Zu Recht werden Namen wie Constance Markiewicz und Margaret Skinnider im gleichen Atemzug wie diejenigen Pádraig Pearses und Roger Casements genannt. Doch bei der Rückschau auf den Easter Rising und der Auseinandersetzung mit seiner Bedeutung fehlt eine Frau völlig, die in der Ära vor 1916 die Ikone des Strebens Irlands nach kultureller, politischer und wirtschaftlicher Unabhängigkeit von Großbritannien schlechthin gewesen ist: Maud Gonne. Elsemarie Maletzke hat ihr ein ganzes Buch gewidmet, aus dem deutlich hervorgeht, daß Maud Gonne weitaus mehr als nur die Muse des großen Dichters William Butler Yeats war, als die sie der Nachwelt vorwiegend in Erinnerung geblieben ist.

Maud Gonne wurde 1866 in einer wohlhabenden englischen Familie geboren. Die Mutter starb früh. Ihre Kindheit verbrachte sie in Irland, wo ihr Vater als ranghoher Offizier der britischen Armee lange Zeit stationiert war, sowie in Frankreich im Internat. Maud Gonne hätte ein sorgenfreies Leben in der High Society führen können. Eine reiche Tante wollte sie sogar mit dem britischen Thronfolger verkuppeln, doch wegen Prinz Edwards Ruf als Schürzenjäger durchkreuzte der Vater diese hochfliegenden Pläne. Als Thomas Gonne 1886 an Tuberkulose starb, erhielt seine Tochter ein stattliches Erbe, das sie finanziell unabhängig machte. Auf der Suche nach ihrer Bestimmung stürzte sich Maud Gonne in das kulturelle und politische Leben.

In Frankreich verliebte sich die angehende Theaterschauspielerin in den verheirateten rechtsgerichteten Journalisten und Politiker Lucien Millevoye, mit dem sie zwei außereheliche Kinder zur Welt brachte. Gemeinsam wollten Gonne und Millevoye Irland und Elsaß-Lothringen der britischen respektive deutschen Fremdherrschaft entreißen. In Paris schrieb Maud Gonne flammende Beiträge für die französische Presse über die Unterdrückung und Ausbeutung Irlands. Wieder auf der grünen Insel, lernte sie den alten Fenier John O'Leary und die wichtigsten Köpfe der Irischen Renaissance (Irish Literary Revival), darunter Yeats, kennen. Im Auftrag O'Learys bereiste sie die bitter arme Grafschaft Donegal im irischen Nordwesten, verfaßte herzzerreißende Berichte über die schlimme Situation der dortigen Kleinbauern und agitierte mit aller Kraft, um sie zu lindern. Ähnliches machte sie nur wenige Jahre später, als es zu einer schweren Hungersnot in Mayo an der Atlantikküste kam.

Bei diversen politischen Aktionen der 90er Jahre des 19. Jahrhunderts in Dublin wie insbesondere der Demonstration gegen den Besuch der britischen Königin Victoria anläßlich deren diamantenen Krönungsjubiläums 1897 stand die Sozialkämpferin Maud Gonne an der Seite von Leuten wie dem Sozialistenführer James Connolly an vorderster Front. Sie besuchte irische politische Gefangene in britischen Gefängnissen, darunter auch die spätere treibende Kraft beim Osteraufstand, Thomas Clarke. Als prominente Suffragettin gründete sie 1900 die Vereinigung Inghinnidhe na hÉireann (Töchter Irlands), die sowohl die gälische Kultur als auch die gesellschaftliche Stellung der irischen Frau stärken wollte. Aus diesem Zusammenschluß ging 1914 die paramilitärische Organisation Cumann na mBan (Bund der Frauen) hervor, deren Freiwillige sich zwei Jahre später, mitten im Ersten Weltkrieg, praktisch gleichberechtigt neben ihren männlichen Kameraden von den Irish Volunteers um Clarke und Pearse sowie Connollys Irish Citizen Army am Ostermontag gegen das Britische Empire erhoben. Beim Auftritt in der Hauptrolle des ihr von Yeats auf den Leib geschriebenen Theaterstücks Cathleen ní Houlihan - eine mythologische Mutter-Irland-Figur - bezauberte Maud Gonne 1902 eine ganze Generation.

Nachdem sie zwischen 1891 und 1901 vier Heiratsanträge ihres Seelenverwandten Yeats ausgeschlagen hatte, ehelichte Maud Gonne 1903 in Paris John McBride, der von 1899 bis 1902 in Südafrika eine irische Freiwilligenbrigade im Zweiten Burenkrieg gegen die Briten kommandiert hatte. Doch die Ehe mit dem irischen Rebellenhelden ging nach nur zwei Jahren unter unschönen Umständen in die Brüche. McBride kehrte nach Irland zurück, während Maud Gonne in Frankreich blieb. Sie hatte Angst, daß McBride in Irland das Sorgerecht für den gemeinsamen Sohn Seán, den späteren irischen Außenminister, Friedensnobelpreisträger und Gründer von Amnesty International, erhalten könnte. Sie hatte zudem die berechtigte Sorge, als geschiedene Frau in der von Männern sowie der katholischen und evangelischen Kirche dominierten Gesellschaft Irlands Nachteile zu erfahren. So kam es, daß Maud Gonne nicht zugegen war, als am Vormittag des 24. April 1916 in Dublin unter Waffengewalt die Irische Republik ausgerufen und über dem Hauptpostamt in der O'Connell Street die Trikolore anstelle des Union Jack gehißt wurde.

In den Wirren des Ersten Weltkriegs und angesichts ihres Rufes als Unruhestifterin gelangte Maud Gonne erst im Januar 1918, als altes Weib verkleidet, nach Irland zurück. Die gescheiterte Ehe mit John McBride, die das Exil in Frankreich verursacht hatte, sollte sich nun als Bonus erweisen. Zusammen mit den sieben Unterzeichnern der irischen Unabhängigkeitserklärung war McBride vom britischen Militär im Mai 1916 wegen Teilnahme am Osteraufstand standrechtlich erschossen worden. Maud Gonne gehörte fortan neben Kathleen Clarke, Lilly Connolly und anderen zu den "Witwen Irlands". Als es im Mai 1918 in Irland wegen der angedrohten Zwangsrekrutierung junger Männer für das anhaltende Massenschlachten auf dem europäischen Festland zu Unruhen kam, wurden Maud Gonne, Countess Markiewicz und Kathleen Clarke verhaftet und für einige Monate ins berüchtigte Londoner Frauengefängnis Holloway gesteckt.

Als 1919-1921 der irische Unabhängigkeitskrieg tobte, betätigte sich Maud Gonne als Publizistin, die zusammen mit der englischen Kommunistin Charlotte Despard die umkämpftesten Gegenden bereiste und die Greueltaten der britischen Streitkräfte dokumentierte. Gemeinsam mit Aine Ceannt gründete sie die Hilfsorganisation White Cross, um Katholiken zu helfen, die vor protestantischen Pogromen in Belfast und anderen Teilen des Nordens in den Süden fliehen mußten. Nach der Unterzeichnung des Anglo-Irish Treaty schlossen sich Maud Gonne und ihr Sohn Seán McBride den republikanischen Abkommensgegnern an, die im darauf folgenden irischen Bürgerkrieg 1922-1923 den Verfechtern des Freistaats unterlagen. Maud Gonne mußte deshalb seitens der neuen Machthaber in Dublin nicht wenige Razzien und Repressalien über sich ergehen lassen. An der Frage der Teilung Irlands und des Verbleibs beider Teile der Insel im British Commonwealth wäre ihre Freundschaft zu Yeats, der nahezu zeitgleich Literaturnobelpreisträger und Senator des irischen Freistaats wurde, fast zerbrochen.

Im letzten Abschnitt ihres Lebens setzte sich Maud Gonne für IRA-Gefangene ebenso leidenschaftlich wie für sozial Benachteiligte ein, von denen es in Irland im allgemeinen und in Dublin im besonderen sehr viele gab. Mit ihren Anklagen und Aktionen gegen die grassierende Armut brachten Maud Gonne und ihre Mitstreiterin Despard den katholischen Klerus gegen sich auf, der im Irischen Freistaat der zwanziger und dreißiger Jahre heftig gegen alles zu Felde zog, was auch nur den Anschein von Bolschewismus erweckte. 1953 starb die einst schönste Frau Irlands, die zuletzt als Grande Dame der Revolution in ihrem Haus in Clonskeagh, einem wohlhabenden Viertel Süddublins, etwas zurückgezogen gelebt hatte, mit 86 Jahren. Bereits vierzehn Jahre zuvor war Yeats aus dem Leben geschieden.

In "Maud Gonne - Ein Leben für Irland" bekommen die Leserinnen und Leser einen herrlichen und genußvollen Einblick in eine faszinierende Epoche sowohl der Weltgeschichte als auch der Weltliteratur. Elsemarie Maletzke kennt sich in der Materie bestens aus und stellt nicht selten die Verbindung von damals zu heute - wenn man etwa an die Magdalene Laundries oder die Troubles denkt - her. Die von ihr eingebrachten Zitate, seien sie von Yeats, Sean O'Casey, John Millington Synge, James Joyce, Ernie O'Malley, Ezra Pound, George Bernard Shaw, Francis Stuart oder Elizabeth Bowen, sind stets perfekt plaziert und dosiert. Die örtlichen Beschreibungen treffen durchweg so präzise zu, daß vor dem inneren Auge die Klippen von Howth oder Dublins berühmtestes Kaffeehaus Bewley's Gestalt annehmen. Auch der leicht ironische Ton und das manchmal antiquiert-vornehme Vokabular tragen dazu bei, die Edwardianische Ära, die Gonne, Yeats und ihren Bekanntenkreis prägte, mit ihren Finessen wie auch ihrem Standesdünkel erstehen zu lassen. Die Autorin hat mit diesem Meisterwerk nicht nur ihrem Sujet, sondern auch sich selbst ein kleines Denkmal gesetzt.

9. August 2016


Elsemarie Maletzke
Maud Gonne
Ein Leben für Irland
Insel Verlag, Berlin, 2016
318 Seiten
ISBN: 978-3-448-17674-9


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