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REZENSION/026: König Abdullah von Jordanien - Die letzte Chance (SB)


König Abdullah II. von Jordanien


Die letzte Chance

Mein Kampf für Frieden im Nahen Osten



Von den Massenprotesten, welche die arabischen Staaten seit Anfang des Jahres erschüttern, ist selbst das vergleichsweise liberale Jordanien nicht verschont geblieben. Im Februar sah sich König Abdullah II. gezwungen, die Regierung in Amman, welche die von ihm 2006 in Aussicht gestellten politischen Reformen nicht verwirklicht hatte, zu entlassen. Als neuen Premierminister setzte er seinen Nationalen Sicherheitsberater, den ehemaligen Militärgeheimdienstchef General a. D. Maruf Al Bakhit, ein und berief ein sogenanntes National Dialog Committee (NDC). Als jedoch die Proteste vor wenigen Wochen wegen mangelnden Fortschritts beim politisch-gesellschaftlichen Diskurses im Rahmen des DNC wieder aufflammten, ist Abdullah II. auf eine Kernforderung der Demokratiebefürworter eingegangen. Bei einer Fernsehansprache an das Volk kündigte er an, daß der Regierungschef künftig von einer Mehrheit im Unterhaus des Parlaments gewählt und nicht mehr vom König eingesetzt werden soll. Gleichzeitig knüpfte Abdullah sein Zugeständnis an die eigene Forderung an, daß sich nämlich die 33 Parteien Jordaniens zu zwei oder drei großen Fraktionen zusammenschließen, um die Regierungsbildung in der Zukunft zu erleichtern.

Die Anregung des 49jährigen jordanischen Monarchen zeugt von einer zutiefst patriarchalischen Weltsicht, die sich wie ein roter Faden durch seine Biographie "Die letzte Chance - Mein Kampf für Frieden im Nahen Osten" zieht. Eine solche Weltsicht hat nicht nur negative Aspekte und ist dem König von Jordanien auch nicht zu verübeln, stammt doch die Haschemitendynastie der Überlieferung nach vom Propheten Muhammed selbst ab, ist in der nomadischen Beduinen-Kultur tief verwurzelt, galt jahrhundertelang als Beschützerin der heiligen muslimischen Stätten in Mekka und Medina und hat bis heute die alleinige Oberaufsicht über den Tempelberg in Jerusalem inne. Gleichwohl ist Abdullah auch ein für nahöstlich-aristokratische Verhältnisse recht aufgeklärter Herrscher. Sein Mutter war Engländerin. Er besuchte als Jugendlicher ein Internat in den USA, erhielt seine Militärausbildung an der britischen Offiziersschmiede Sandhurst und studierte internationale Politik in Oxford und an der George Washington Universität. 1993 heiratete er die Palästinenserin Rania Al-Rashin. 1996 spielte der begeisterte Science-Fiction-Fan sogar eine Statistenrolle bei einer Folge von Star Trek Voyager.

Die vorliegende Biographie bietet dem Leser einen aufschlußreichen und unterhaltsamen Einblick in die stetigen Bemühungen des jordanischen Königshofs, eine vermittelnde Rolle im Nahen Osten zu spielen. Von frühen Jahren an begleitete der 1962 geborene Abdullah seinen Vater, den langjährigen König Hussein, auf Staatsreisen und lernte dabei eine Menge über die Tücken der internationalen Diplomatie kennen. Zwar beschreibt Abdullah unter anderem eine Stippvisite in Bagdad in den achtziger Jahren, als sein Vater Saddam Hussein besuchte und er einen ungewöhnlichen Angelausflug mit Udai und Kusai, den Söhnen des irakischen Staatsoberhaupts, machen mußte, doch erst mit dem Golfkrieg 1991 tritt er sozusagen als vollwertiger Zeitzeuge der Weltgeschichte aus der staatsmännischen Perspektive in Erscheinung. Damals setzte sich Amman energisch für eine friedliche Lösung und gegen eine gewaltsame Vertreibung der Iraker aus Kuwait ein, was König Hussein seitens der Amerikaner, Saudis und anderen als Parteinahme für den bösen Diktator ausgelegt wurde.

In einer nicht unähnlichen Position sah sich Abdullah, der 1999, nach dem Tod seines Vaters, den jordanischen Thron bestiegen hatte, als er 2002 von den Plänen der USA erfuhr, in den Irak einzumarschieren, um die Regierung Saddam Husseins ein für alle Mal zu beseitigen. Als Militär und Kenner der Region war ihm klar, welche katastrophalen Auswirkungen die angloamerikanische Eroberung und Besetzung des Iraks haben würde. Bei Gesprächen mit US-Präsident George W. Bush, Vizepräsident Dick Cheney, Außenminister Colin Powell, CENTCOM-Chef General Tommy Franks und dem späteren Leiter der Übergangsverwaltung für den Irak, Paul Bremer, versuchte Abdullah, das Schlimmste zu verhindern und die Folgen des Desasters zu lindern - vergeblich. Als er 2008 erstmals seit rund zwanzig Jahren Bagdad wieder besucht, bietet sich ihm ein entsetzliches Anblick - das einstige "Juwel des Nahen Ostens ... völlig zerstört". (S. 382f.)

Abdullah macht keinen Hehl aus seiner negativen Meinung über die neokonservativen Falken Amerikas, die den Krieg gegen den Irak forcierten, bis heute einen weiteren gegen das "Mullah-Regime" im Iran fordern und die uneingeschränkte Solidarität der USA mit Israel für das höchste außenpolitische Gebot halten. Wie sein Vater hat Abdullah unablässig versucht, Israel aus der selbstgewählten Isolation herauszuführen. 2002 war er maßgeblich am Zustandekommen jener historischen Initiative beteiligt, im Rahmen derer alle Mitgliedsstaaten der Arabischen Liga gegen eine Beendigung der seit 1967 anhaltenden, illegalen Besetzung des Westjordanlands, Ostjerusalems und des Gazastreifens versprachen, Israel anzuerkennen und mit ihm diplomatische und wirtschaftliche Beziehungen aufzunehmen. Die Arabische Initiative ist nicht allein wegen der mangelnden Kompromißbereitschaft Ariel Scharons, Ehud Olmerts und Benjamin Netanjahus gescheitert, sondern auch, weil sich Washington nicht genug dafür einsetzte. Selbst als Barack Obama 2009 ins Weiße Haus einzog und eine Kehrtwende versprach, änderte sich wenig daran, und zwar weil die Mehrheit der Volksvertreter im Kongreß, die offensichtlich auf die Wahlkampfspenden der zionistischen Lobby angewiesen sind, sich schützend vor Israel stellten und gegen den eigenen Präsidenten Position bezogen.

Abdullah befürchtet, daß ein verheerender Krieg den Nahen Osten zwischen Israel, den USA und Saudi-Arabien auf der einen Seite und dem Irak, Syrien und der schiitisch-libanesischen Hisb Allah auf der anderen erfassen wird, sollte nicht bald eine tragbare Friedenslösung für die verfahrene Situation zwischen Israelis und Palästinensern gefunden werden. In seinem Buch wirft er Netanjahu vor, die von dem Iran und dessen Kernenergieprogramm angeblich ausgehende Bedrohung über alle Maße aufzubauschen. Auf diese Weise gehe der amtierende israelische Premierminister seiner vordringlichsten Aufgabe, beim eigenen Volk und vor allem bei den jüdischen Siedlern im Westjordanland für einen Kompromiß mit den Palästinensern zu werben, aus dem Weg.

Es wäre nicht zu erwarten, daß Abdullah alle Einzelheiten der Rolle des gefürchteten jordanischen Geheimdienstes Mukhabarat im sogenannten "Antiterrorkrieg" auspackt. Gleichwohl läßt seine Schilderung der Motive von Leuten wie Osama Bin Laden oder Abu Musab Al Sarkawi eine Differenziertheit vermissen. Für ihn sind das einfach "Tiere" (S. 340), die den Islam für ihre perfiden Ziele mißbrauchen und leichtgläubige Menschen zu Selbstmordanschlägen animieren. Seine berechtigte Kritik an der verworrenen Lehre der Takfiris, die ein Weltkalifat errichten und alle Ungläubigen und Ketzer töten wollen, hätte mehr Gewicht, würde er einräumen, daß nicht wenige Selbstmordattentäter, wie zum Beispiel der jordanische Arzt Human Khalil Abu Mulal Al Balawi, der am 30. Dezember 2009 auf einem Militärstützpunkt in Afghanistan sich selbst und sieben CIA-Mitglieder mit einer Bombe tötete, keine andere Möglichkeit sehen, dem Unrecht, das die USA mit militärischen Mitteln in der islamischen Welt anrichten, entgegenzutreten. Es zeugt von einer gewissen Inkonsequenz, wenn Abdullah Netanjahus Haltung gegenüber der palästinensischen Hamas als engstirnig kritisiert, sie aber in Bezug auf Extremisten unter den eigenen ideologischen Gegnern einnimmt.

In seiner Biographie präsentiert sich Abdullah mit Hilfe seiner Mitarbeiter am jordanischen Königshof und beim Lektorat des Verlagshauses Random House von seiner allerbesten Seite. Mit Leidenschaft, Witz und Bescheidenheit erzählt er von seinem Werdegang und läßt den Leser hautnah einige der wichtigsten politischen Entscheidungen und Prozesse der letzten 20 Jahre miterleben. Im Buch gibt es auch eine ganze Reihe von Bildern von Abdullah als verantwortungsbewußter Staatsmann, liebender Familienvater, treuer Ehemann und unerschrockener Soldat. Mal ist er im Panzer, im Kampfhubschrauber, auf seinem Harley-Davidson-Motorrad, hinter dem Steuerrad einer Nobellimousine oder im Flugzeug - beim Fallschirmspringen, seinem Lieblingssport - zu sehen. Da wußte Ausnahmetalent Mel Brooks, was er tat, als er in seiner 1981er Kinokomödie "Die verrückte Geschichte der Welt" zu Discoklängen das Lied "It's good to be the king" sang.

20. Juni 2011


König Abdullah II. von Jordanien
Die letzte Chance
Mein Kampf für Frieden im Nahen Osten
Übersetzt aus dem Englischen "Our Last Best Chance - The Pursuit of
Peace in Times of Peril" von Karola Bartsch, Gabriele Gockel und
Barbara Steckhan.
Deutsche Verlags-Anstalt, München, 2011
448 Seiten
ISBN: 978-3-421-04460-0