Schattenblick →INFOPOOL →BUCH → BIOGRAPHIE

BUCHBESPRECHUNG/003: Robert Reich - Locked in the Cabinet (Politik) (SB)


Robert Reich


Locked in the Cabinet



Robert Reich verdankte seine Berufung zum Arbeitsminister im ersten Kabinett Bill Clintons nicht nur seiner Position als Professor für Gesellschaftswissenschaften an der John F. Kennedy- School of Government in Harvard, neben Yale die klassische Elitenschmiede der Vereinigten Staaten, sondern seiner Bekanntschaft mit einem jungen Studenten, der wie er in Yale studierte und offensichtlich viele seiner Ansichten über ein sozial gerechtes Amerika teilte. Als dieser Student schließlich zum 42. Präsidenten der USA gewählt wurde, erinnerte er sich seines Kommilitonen mit den einem in den Fußstapfen John F. Kennedys wandelnden Demokraten gut anstehenden sozialen Visionen und holte ihn zu sich ins Kabinett.

Das von Clinton großspurig angekündigte Vorhaben, 50 Milliarden Dollar in die soziale Zukunft der USA zu investieren und vor allem die Berufsbildung zu fördern, schien beste Voraussetzungen für einen Arbeitsminister zu bieten, der großzügig alimentiert und sich der Rückendeckung seines Präsidenten gewiß wähnend tatkräftig daran gehen wollte, die in guter Rooseveltscher Tradition stehenden Ideen zu verwirklichen. Daß es dann doch ganz anders kommen sollte, hatte wesentlich damit zu tun, daß sich der Hoffnungsträger der Demokraten als verkappter Republikaner erwies und einen Sozialabbau vollzog, der einen alten Weggefährten wie Robert Reich nur noch staunen lassen konnte.

Der ehemalige Arbeitsminister hat seine Erfahrungen im ersten Kabinett Clintons nun in einem Buch zusammengefaßt, in dem er unter dem Titel "Locked in the Cabinet", zu deutsch "Eingeschlossen im Kabinett" - man könnte allerdings auch "Schrank" für "Kabinett" einsetzen - in einem ironisch bis zynischen Rückblick Revue passieren läßt, was er zwischen 1600 Pennsylvania Avenue und Arbeitsministerium erlebt hat. Dabei hat er sich allerdings nicht nur an Fakten gehalten, sondern seiner Phantasie freien Lauf gelassen, wie er es immer tat, wenn er abends sein Tagebuch führte und eine Art literarischer Tagesrestverarbeitung betrieb, wo er vollendete, was er im realen Leben unterlassen hatte.

Seine Exkursionen ins Reich der Phantasie, in seinem Buch immer durch Kursivschrift ausgewiesen, sollen sich jedoch ins reale Geschehen ausgeweitet haben, was ihm die vernichtende Kritik diverser Kommentatoren eingebracht hat. Er soll Fakt und Fiktion nicht genügend getrennt, ganze Dialogpassagen erfunden und den Wortlaut offizieller Sitzungen nicht überprüft haben, wie ihm insbesondere der Reporter Jonathan Rauch nachwies und ihn somit der Geschichtsklitterung bezichtigte.

Robert Reich verteidigt sich damit, daß das eben seine Erinnerungen seien und diese ein zumindest für ihn relevantes Abbild der Wirklichkeit lieferten. Die Entgegnungen allzu penibler Kritikaster bereits erahnend hatte er in seinem Buch bereits Vorkehrungen getroffen, mit denen er sich selbige vom Leib zu halten gedachte:

"When I especially wanted to remember what ocurred, I jotted notes to myself, usually late at night. Herewith the result: Hardly no higher truth in my own perceptions this is how I lived it, this is what I learned." ("Wenn ich mich an etwas Besonderes erinnern wollte, was
geschehen war, brachte ich meist spät in der Nacht einige an mich selbst gerichtete Notizen zu Papier. Das ist das Ergebnis: Ich nehme keine höhere Wahrheit in Anspruch als meine eigenen Wahrnehmungen. So habe ich es erlebt, und so habe ich es erfahren.")

Nachdem das offensichtlich mißlungen war, holte Robert Reich in der New York Times zu einem weiteren Schlag gegen seinen Hauptkritiker aus und schilderte anhand eines Anrufs Jonathan Rauchs, warum Worte nicht allein repräsentativ für die Wahrheit sein sollen. Rauchs telefonische Investigation will Reich als feindseligen Akt erlebt haben, denn der Ton mache die Musik, und der Ton sei feindselig gewesen. Selbst wenn er den Wortlaut des Telefonats nicht genau wiedergegeben habe, das sei nun mal die Wahrheit.

Der Ärger um die unorthodoxe Mischung aus Roman und Biographie, der die Washington Post in Anspielung auf den Buchtitel provokant fragen ließ, ob Reich die Wahrheit gleich miteingeschlossen habe, resultiert vor allem aus den weitscheifigen Auslassungen über Präsident Clinton. Reich macht kein Hehl daraus, wie wenig er für die politischen Qualitäten seines Präsidenten übrig hat, wenn dieser von fast allen Wahlkampfversprechen abrückte, weniger seine vorgeblichen Ideale verfolgte als sich per Umfrageergebnissen an den vermeintlichen Wählerwillen anzupassen und vor allem nichts gegen die grassierende Armut in den USA unternahm.

Seine arbeitspolitischen Vorstellungen konnte er spätestens dann in den Wind schreiben, als Clintons Wirtschaftsberater, Finanzminister Lloyd Bentsen, und der Vorsitzende des Nationalen Wirtschaftsrats Robert Rubin im Rahmen ihrer neoliberalen Politik auf einen zügigen Abbau des Billionen-Defizits im Staatshaushalt drängten und ihren Dienstherren davon überzeugen konnten, daß ihn diese Maßnahme bei der konservativen Klientel besonders gut aussehen ließe. Geringe Staatsausgaben entziehen nicht nur der Wirtschaft Geld und verringern die Chancen kleiner und mittlerer Unternehmen, sie führen vor allem zu Kürzungen im Sozialbereich, der meist als erstes an die Reihe kommt, wenn Wirtschaftsideologen vom Schlage Milton Friedmans die keynesianische Politik hoher Staatsausgaben liquidieren.

Bei einer Sitzung am 13. Februar 1993 mußte Robert Reich erleben, daß seine Anliegen im Kabinett nunmehr jede präsidiale Resonanz vermissen ließen, da Clinton offensichtlich nicht mehr an seine eigenen kühnen Vorhaben erinnert werden wollte:

"When I make my usual point: 'Mister President, at this rate we won't have money left for your investments', his eyelids droop. My influence has reached a new low - I'm adressing a sleeping president." ("Als ich zu meinem üblichen Punkt auf der Tagesordnung kam:
'Mister President, bei diesen Ausgaben werden wir kein Geld mehr für Ihre Investitionen übrig haben', fallen ihm die Augen zu. Mein Einfluß hat einen neuen Tiefsstand erreicht - ich trage einem schlafenden Präsidenten vor.")

Derartige Anekdoten machen das Buch zu einer unterhaltsamen Lektüre, sie gereichen Bill Clinton jedoch nicht zum Ruhme, so daß dieser überaus glücklich über die massive Kritik an Reichs Werk sein dürfte. Der nur 1,47 Meter große Politiker hat jedoch auch unverfängliche Anekdoten zu bieten, die das hochoffiziöse Washington mit einem Slapstick-Touch versehen, der das falsche Talmi so mancher Politveranstaltung mit einem menschlichen Zug versieht.

So stand der Arbeitsminister bei seiner Amtseinführung so unglücklich hinter dem Rednerpult, daß man gerade einmal die obere Hälfte seines Kopfes neben dem hochaufragenden Präsidenten erkennen konnte. Rubin, der als Kleinwüchsiger immer wieder mit peinlichen Situationen zu kämpfen hat, drängte sich in dieser Situation die Vorstellung auf, daß sich nun wohl Millionen von Fernsehzuschauern fragten, wie wohl die untere Hälfte seines Gesichts aussehen mag, das hinter dem Rednerpult steckt. Das peinliche Schweigen, daß sich unter der Journalistenschar angesichts dieses Mankos breitmachte, verwandelte Rubin durch die Bemerkung, er habe schon seit Monaten gewußt, daß er auf der Kandidatenliste - in Englisch "Short List" - des Präsidenten gestanden hätte, in einen Lacherfolg zu seinen Gunsten.

Andere Begebenheiten aus der Amtszeit des Arbeitsministers nahm man in Washington jedoch mit weniger Begeisterung auf. So wird sich Alan Greenspan, Chef des Zentralbankrats und als solcher nicht nur nach Reichs Meinung der mächtigste Mann der Vereinigten Staaten, über Reichs Version einer Begegnung der beiden Politiker kaum gefreut haben. Alan Greenspan, der noch bis zum Jahre 2000 als Chairman des Federal Reserve Boards und bis zum Jahre 2006 als Mitglied dieses mächtigsten Gremiums der Finanzwelt fungieren wird, gilt als strikter Gegner einer Einmischung des Staates in wirtschaftliche Angelegenheiten und fanatischer Kämpfer gegen die Inflation. Sein Credo lautet, daß der Kapitalismus nicht nur effizient und praktisch, sondern auch das einzige mit der persönlichen Freiheit des Individuums vereinbare System sei, was Greenspan als fundamentalen Ideologen dieser inzwischen monolithisch herrschenden Wirtschaftsdoktrin zeigt.

Für Robert Reich, der zwar kein Linker ist, aber als sozialliberaler Politiker durchaus wie ein rotes Tuch auf die Augen konservativer Amerikaner wirkt, ist die fanatisch antiinflationäre Politik des Zentralbanker der maßgebliche Grund, warum viele Menschen nach wie vor keine Arbeit haben oder so wenig verdienen, daß sie zu den Working Poor gehören, das Fünftel der US-Arbeitnehmer, das an oder unterhalb der Armutsgrenze leben muß. Greenspan kontrolliert den Zentralbankrat, der Zentralbankrat kontrolliert die kurzfristigen Zinssätze, und die haben einen entscheidenden Einfluß auf die Konjunktur des Arbeitsmarktes, meint Reich und umschreibt den Einfluß Greenspans auf Clinton auf so plastische wie respektlose Art: "Greenspan has the most important grip in town - Bill's balls in the palm of his hands."

Als Greenspan Reich einmal zum Essen bei sich ins Büro einlud und dabei versuchte, die Absichten des Arbeitsministers zu eruieren, ohne selber viel preiszugeben, scheint dieser mit dem Verlauf des Gesprächs höchst unzufrieden gewesen zu sein. Abends vertraute er daher seinem Tagebuch in üblicher selbsttherapeutischer Manier an, wie das Gespräch seiner Ansicht nach verlaufen hätte müssen:

Reich: Herr Vorsitzender, wie konnte ein schüchterner kleiner Jude wie Sie zum mächtigsten Mann Amerikas aufsteigen?

Greenspan: Ich bin verschlagen, ehrgeizig und sehr gewieft.
Reich: Was ist ihr Lebensziel?
Greenspan: Die Inflation auszurotten.
Reich: Selbst wenn das hohe Arbeitslosigkeit bedeutet?
Greenspan: Selbstverständlich.

Das fiktive Gespräch schaukelt sich bis zu dem Punkt hoch, wo der Arbeitsminister dem Währungshüter empfiehlt, sich sein kümmerliches Essen sonstwo hinzustecken und ihn als Räuberbaron sowie Zuhälter tituliert, während Greenspan ihm rät, statt dessen doch an einer Gurke zu lutschen und ihn einen bolschewistischen Zwerg schimpft.

Solche Dialoge werden das Buch, das auch in einer Audioversion zu erstehen ist, wohl zu einem Erfolg machen. In der Reihe der vielen Werke über das Innenleben der Washingtoner Politelite nimmt es den Platz eines der interessanteren Werke ein, da es auch einen Anflug von Kritik am Kurs einer Wirtschaftspolitik enthält, deren vielgerühmtes Jobwunder nicht nur einen Großteil der Arbeitnehmer mit Minimallöhnen abspeist und wenig für soziale Sicherungssysteme übrig hat, sondern die auch unübersehbare Schattenseiten der kapitalistischen Produktionsweisen offenbart, die in immer mehr völlig aus dem Erwerbsleben ausgegrenzter Obdachloser resultieren, deren Zahl sich in den niedrigen Arbeitslosenraten nicht mehr spiegelt. Robert Reichs Buch gehört auch als ein Hybrid aus tatsächlichem Geschehen und aberwitzigen Fantastereien zu den Dokumenten, die die Entstehung der Clintonschen Wirtschaftspolitik transparent machen.


Robert Reich
Locked in the Cabinet