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FRANZÖSISCH/002: Kommissar Maigret... verführt zum Lesen (SB)


Ein Tip für alle, die auf zwanglose Weise ihre Sprachkenntnisse vertiefen wollen




Sobald ich in der Lage war, englische Bücher zu lesen, ärgerte ich mich darüber, daß ich mit Französisch noch nicht soweit war. Das gab den ersten Anstoß, einfach irgendein französisches Buch zu nehmen und anzufangen.

Wichtig dabei ist, sich nur unwesentlich um das zu kümmern, was man nicht versteht - also, hier und da einmal ein zentrales Wort nachzuschlagen, nicht mehr. Denn das verdirbt die Freude daran, die fremde Sprache zu entdecken. Das Interesse an genauerer Kenntnis der entsprechenden Grammatik, Begriffe, Lebens- und Ausdruckweise hat so eine Chance zu wachsen und, wenn man will, interessiert bald alles, was französisch anmutet.

Es gibt keinen Text, der zu schwierig ist. Ausschlaggebend allein ist der Umgang mit dem Lesestoff, also kann man im Prinzip mit jedem Buch beginnen.

Dennoch möchte ich für den ersten Griff ins Regal (zum Antesten am besten das einer Bibliothek) Kommissar Maigret von Georges Simenon empfehlen. Klassische Kriminalromane erleichtern das Lesen durch ihren eher übersichtlichen Aufbau, schnellen Szenenwechsel, viel wörtliche Rede und die in der Regel spannende Handlung. Noch dazu muß man nicht unbedingt Krimi-Fan sein, um Maigret zu mögen.

Simenon beschreibt einfache Menschen und ihr alltägliches Leben, das gemeinhin kaum von Interesse ist. Sehr sympathisch daran finde ich, daß seine Figuren zum Leben erwachen. Er beschreibt liebevoll und ohne Distanz; der einzelne Mensch mit seinen Fehlern und Schwierigkeiten steht im Vordergrund. Ohne Zweifel stellt sich der Autor auf der Seite derer, mit denen es das Leben nicht so gut meint. Ohne Moral und Schuldzuweisung beschäftigt er sich mit der Frage, wie Menschen mit ihren Problemen umgehen, fertig werden oder oft an ihnen scheitern. Seine Romane sind unterschwellig sozialkritisch und beschönigen nicht.

Sein Kommissar ist zwar ein Gesetzeshüter, den es zutiefst ärgert, wenn er einen Übeltäter nicht zu fassen bekommt (das kommt vor), doch er ist vor allem Mensch und in seinen Gefühlen und Reaktionen nachvollziehbar.

Einen kurzen Moment lang, zwischen Quai des Orfèvres und Pont Marie, stand für Maigret die Zeit still. Die Unterbrechung war so kurz, daß Lapointe, der an seiner Seite ging, nichts davon bemerkte. Und doch, für wenige Sekunden, vielleicht auch nur Sekundenbruchteile, fand sich Maigret im gleichen Alter wieder wie sein Begleiter.
(übertragen aus: "Maigret et le clochard" v. Georges Simenons, Verlag Presses de la cité, Seite 7 und 8)

Ein Mensch, der mein langweiliger, biederer Onkel sein könnte in all seiner Regelmäßigkeit und doch immer wieder überrascht. Seine Fälle löst er nicht durch Genie, sondern durch Hartnäckigkeit und Gründlichkeit. Er hört zu, er prüft, er versetzt sich in die Lage eines anderen Menschen und kommt ihm dadurch auf die Spur.

Und hier noch eine kleine Leseprobe aus dem Buch "Maigret et le clochard":

De loin, Maigret apercevait deux ou trois clochards qui se tenaient sous le pont et, parmi eux, une femme très grosse qu'il lui semblait avoir déjà vue. - Comment cela c'est-il passé? L'homme s'est jeté à l'eau? - Je ne crois pas, hein, monsieur. S'il s'était jeté à l'eau, qu'est-ce que les deux autres seraient venus faire ici? Quelle heure était-il? Ou étiez-vous? Dites-nous en détail ce qui c'est passé pendant la soirée. Vous vous êtes amarré au quai peu avant la tombée de la nuit? - C'est juste.
(aus: "Maigret et le clochard" v. Georges Simenons, Verlag Presses de la cité, Seite 13)


Erstveröffentlichung am 11. Januar 1995


27. Januar 2007