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ENGLISCH/718: Britain today (38) Valentine's Day - Konsum statt Liebe (SB)


Happy Valentine in Britain - Spinnen die jetzt, die Briten?


Sturm auf Plüschherzen und Liebeskitsch



Kaum sind die Weihnachtsmänner und letzten Silvesterknaller aus den Schaufenstern verschwunden, versinkt Großbritannien nicht etwa - wie die Metropolen des Kontinents - in Karnevallsdekorationen oder gar Ostereiern, sondern in zahllosen rosaroten Herzen. Die Wochen vor dem 14. Februar, der in England - anders als in Mitteleuropa - schon seit vielen Jahrhunderten als Tag der Liebenden gefeiert wird, nutzen Hersteller und Geschäfte, um auch aus diesem Termin Profit zu schlagen. Knallrot und in poppiger Einheitsform schauen sie aus den Schaufenstern von Blumengeschäften, Papeterien und Confiserien, mischen sich unter die Frühlingskollektion kostspieliger Wäsche oder Schmuckauslagen und trompeten unübersehbar aus jedem Restaurant- Inserat: "Book now for Valentine's Day", reservieren Sie jetzt für den Valentinstag. Denn am 14. Februar werden die lauschigen Liebeseckchen überall vergeben sein. Kurzum, wer in irgendeiner Weise liiert ist, wird ständig daran erinnert, daß man, wenn man darauf Wert legt, sich die Zweisamkeit auch etwas kosten lassen muß.

Umgekehrt bezeugen Hunderttausende von Herzen aus Hunderttausenden von Läden und Zeitungsseiten jedem Single in England, daß mit ihm offensichtlich etwas nicht stimmt. Und das sind allein in Großbritannien mindestens 11 Millionen alleinstehende Erwachsene, die sich dem von den Medien und der Öffentlichkeit aufoktroierten Konsum auf diese Weise entziehen. Das war allerdings nicht immer so.

Zwar gilt der 14. Februar schon seit 600 Jahren als Tag der Liebenden. Doch als die Mode aufkam, war er nur ein offizieller Termin, an dem man seinem heimlichen Schwarm anonym Verse senden durfte, ohne sich dabei zu erkennen zu geben. Daß das heimlich Liebende allerdings schon immer getan haben, mit oder ohne offizielle Erlaubnis, sei dahingestellt. Auch daß zu der ganzen Heimlichkeit die kniffelige Kunst gehörte, sich ganz versteckt doch irgendwie eine Blöße zu geben, sonst hätte das ganze ja keinen Sinn gemacht, oder zu zahllosen Verwechslungen oder Mißverständnissen geführt. "Jenny loves Jonny, but Jonny loves Jo...". Anders gesagt: Der Valentine's Day war von Beginn an vollkommen überflüssig.

In Deutschland wird der Tag von bösen Zungen (der Singles und Nichtverliebten vermutlich) als Tag der Blumengeschäfte und Schokohersteller verunglimpft. Doch auch nach Mitteleuropa schwappt die Erscheinung, die von England zunächst mit nach Amerika eingeführt und dort erst zu dem Walt Disney- und hollywoodmäßigem Liebeskitsch aufgeblasen wurde, als der er ins Heimatland zurückkam. Das geht selbst vielen Engländern dieser Tage schon richtig auf die Nerven.

In Deutschland kam er nach dem Zweiten Weltkrieg auf, als Geschenk der Amerikaner gewissermaßen. Bereits vor 600 Jahren war es auf der Insel Brauch, am 14. Februar der Liebsten eine poetische Botschaft zu schicken. Und wie so häufig in amourösen Dingen war ein Franzose der Briten Vorbild. Als erster Valentin-Schreiber gilt der Herzog Charles d'Orléans. 1415 kam er nach der Schlacht von Azincourt als Gefangener in den Tower von London und schrieb von dort romantische Verse an seine Frau. Später wurden die Liebesworte mit Blumen verstärkt.

Samuel Pepys und seine Frau sollen im übrigen die Ersten gewesen sein: Er schickte schöne Worte, sie schöne Blumen. Später kam die persische Kunst der "Sprache der Blumen" nach England, und schon seit dem 18. Jahrhundert war in der vornehmen Gesellschaft der auch heute noch geltende Slogan bekannt: Sag's mit Blumen.

Allerdings ist die Frage danach, wer Valentin eigentlich war, immer noch nicht ganz geklärt. Es gab wohl unter Claudius II im 3. Jahrhundert einen jungen Priester Valentin, der verbotenerweise junge Liebende getraut haben soll und darum geköpft wurde. Doch finden sich in der Geschichte des heiligen Valentin mindestens drei dieses Namens. Darum ist es nicht verwunderlich, daß Valentin nicht nur als Beschützer der Liebenden gilt, sondern noch mehr Funktionen hat, nämlich als Patron der Reisenden und Imker. Sein Segen soll nicht nur gut sein für Liebe und Heirat, sondern ebenso gut gegen Epilepsie und Pest.

Warum aber ausgerechnet der 14. Februar als Gedenktag an die Liebe vorgesehen wurde, entzieht sich jeglicher geschichtlicher Kenntnis. Angeblich beginnt am 14. Februar in England und Frankreich offiziell die Paarungszeit der Vögel, wie im "Parliament of Foules" des Dichters Chaucer zu lesen ist. Doch nicht nur seit Beginn des Klimawandels hat sich an solche Daten noch kein Vogel wirklich gehalten.

Auch altindische Feste werden als Vorbilder vermutet und Fruchtbarkeitsriten in der Antike. Doch selbst wenn man dem alten Brauch heidnische und christliche Wurzeln zugestehen sollte, so wurde der gerade in die Lücke zwischen Weihnachts- und Osterkonsum passende Termin doch wohl eher aus kommerziellen Gründen auf diesen Tag plaziert, denn selbst wenn der Valentinsgruß noch bescheiden ausfällt, so kurbelt er doch auf lange Sicht, was die sich daraus ergebenden Verabredungen, Familiengründungen, Hausstände, Hochzeitsfeiern, Kindstaufen und dergleichen betrifft, zwangsläufig den Konsum an.

Gewisse Regeln gilt es einzuhalten: Wer heute in England seinem oder seiner Liebsten schreibt, tut dies noch immer anonym, auch wenn er (oder sie) weder dichten noch reimen kann. Das ist längst nicht mehr nötig - andere Aufmerksamkeiten von Blumen bis Brillanten - machen mangelnde Dichtkunst wett und werden von Liebenden meist weitaus mehr geschätzt als schnöde Poesie.

Wer dennoch Amors Sprache nur in gereimter Form verstehen will, für den hält die Konsumgesellschaft auch eine Lösung parat: Man mietet sich einen Dichter. Das war zu Samuel Pepys Zeiten ohnehin schon üblich und jetzt wieder. In London kann man zu Harrods gehen, dem Kaufhaus, in dem sich gewissermaßen alles kaufen läßt. Dort wird jedes Jahr ein Liebesdichter angestellt, der Kartenkäufern gratis die passenden Verse liefert.

Das benachbarte Warenhaus Harvey Nichols dagegen wirbt mit einem eher prosaischen Werbegag: Dort liefert die Lebensmittelabteilung mit der sogenannten "Love Box" alle passenden Zutaten für einen Valentin- Abend frei Haus: Ein "candlelight dinner" praktisch aus der Hutschachtel gezaubert, damit hier keine Verwechslung mit etwaigen Dienstleistungen des in Liebesdingen versierten deutschen Versandhauses auftreten.

Wer schon in festen Händen ist, entgeht dem Valentine's Day erst recht nicht: Kein Magazin, keine Zeitung, das nicht mit zahlreichen Tips für das Glück zu zweit am 14. Februar aufwartet. Die Empfehlungen überbieten einander und gehen von Go-Kart über Tango- Lektionen, "Hotspots for Lovers" in ganz Europa bis hin zum "Tunnel of Love", einer Fahrt im Schneckentempo mit der "Tube", wie die Londoner U-Bahn liebevoll genannt wird, durch den Brunel-Tunnel unter der Themse.

Wer sich aber Jahr für Jahr dem allgemeinen Liebesrummel entziehen will, der wird entweder von einer versierten Anti-Valentine's Day Bewegung mit entsprechenden Singleparties, psychologischen Gesprächskreisen gegen Einsamkeit oder ähnlichem aufgefangen, die nicht weniger Lärm und Konsumfreude verbreitet als das Liebesglück der anderen Seite, oder man hat einfach keinen Platz in dieser von Zweisamkeit und Familiengründung besetzten Gesellschaft.


13. Februar 2007