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ENGLISCH/015: Rund um Pubs - altbewährte Kult- & Kommunikationszentren (SB)


DER PUB


Kultstätte in alter Tradition



Wer in England mit dem Wagen über Land fährt, glaubt im ersten Moment, in einer anderen Zeit gelandet zu sein. Das liegt nicht nur an dem meist recht langsamen Tempo, mit dem sich der Neuling mit seinem nach kontinentalem Stil linkslenkendem Fahrzeug halsverrenkenderweise auf der linken Straßenseite entlanghangelt, sondern an den vielen unversehrten historischen Gebäuden, die frisch getüncht und bunt gelackt, immer wieder den Blick des Reisenden einfangen.

Ganz besonders auffällig sind die schon beinahe mittelalterlich anmutenden Gasthäuser ("Inns"), Tavernen oder "Pubs", die den müden Wanderer an jeder Straßenecke zum Einkehren einladen. Selbst in einer kleinen Ortschaft aus nur drei Häusern wird man auf eines der berühmten Emailleschilder stoßen, die auf ein öffentliches Haus - Pub ist die Abkürzung für Publik House - aufmerksam machen. Da sich fast jeder Inselbewohner über achtzehn mindestens einmal am Tag dahin aufmacht, und sei es nur, um in gewohnter Runde Zeitung zu lesen und sein Lunchbrot zu verzehren, schien es nur recht, dieser Stätte volkstümlicher Kultur, die als beliebte Kommunikationseinrichtung nicht unwesentlich auch an der Sprachentwicklung beteiligt ist, einen eigenen Bericht zu widmen. Und jeder, der nicht nur die Sprache, sondern auch Land und Leute kennenlernen will, wird um den Besuch eines englischen "Pubs" nicht herumkommen.

Seit vielen Jahrhunderten gehört er zum englischen Leben, und so manches alte "öffentliche Haus" befand sich nachweislich seit dem 12. oder 13. Jahrhundert schon an genau dem gleichen Platz wie heute.

Der älteste Pub, der erwiesenermaßen schon 1189 existierte, soll der "Trip to Jerusalem" sein. Man munkelt, der Name stamme noch aus der Zeit, als sich dort Kreutzritter vor ihrer Überfahrt nach Jerusalem trafen. Die Tradition, in öffentlichen Häusern zu trinken, liegt jedoch viel weiter zurück. Schon die alten Angelsachsen schlürften ihr "Ale" in Gasthäusern, selbst die römischen Invasoren trafen sich schon in Tavernen, um Wein zu genießen, weshalb noch heute manche Namen das lateinische Wort "tavern" enthalten, womit sie sich auf ihre alte römische Herkunft berufen.

Die Kelten stellten hingegen bereits "Ale" her, ehe die Römer oder die Angelsachsen einen Fuß auf die britische Insel gesetzt hatten.

Pub-Signs

Ein Beispiel plakativer Kunst aus dem 19. Jahrhundert sind die alten Emaillieschilder. Sie waren ursprünglich jedoch nicht als Werbung gedacht, sondern hatten eigentlich die Funktion, staatliche Bierprüfer auf die Häuser aufmerksam zu machen, in denen Ale hergestellt und verkauft wurde.

"Pub" ist die Kurzform für "Public-House" - und genau das war es anfangs auch: Das Heim eines Mannes oder einer Frau, zu dem jederman gehen konnte, um etwas zu trinken. Selbst heute gibt es noch den sogenannten "landlord" (Wirt, Hausherr) oder die "landlady" (Wirtin, Hausherrin, Vermieterin).

Anfangs machten diese ihr eigenes Ale; dabei galt das Zubereiten und Verkaufen von Ale ursprünglich als Frauenarbeit. 1393 entschied der englische König Richard II, daß die Qualität des Bieres überprüft werden müsse und sandte "ale-tester", also Bierprüfer, von Haus zu Haus. Leute, die Ale anboten, mußten ein Schild an ihrem Haus anbringen. Auf diese Weise entstand die Kultur der bunten "Pub signs".

Die Bierprüfer verwendeten u.a. eine außergewöhnlich direkte Testmethode. Sie kleckerten etwas Ale auf einen Stuhl und setzten sich drauf. Blieb die Hose an der klebrigen Flüssigkeit hängen, dann war das Bier in Ordnung. Falls nicht, kippten sie das Ale über dem jeweiligen Landlord aus.

Auf dem Pub sign (Schild) steht üblicherweise der Name des Pubs über oder unter einem farbenfrohen Bild, das einen ganz einfachen Bezug zum Namen hat. Der dicke Kopf eines Rindviechs symbolisiert den Namen "The Bulls Head", oder ein gekröntes Haupt steht für "The Kings Head". Es gibt 60.000 Pubs in England, doch nur einige hundert verschiedene Namen. Die meisten ähneln einander sehr. Der gebräuchlichste Name, dem man mindestens 1.100mal in England begegnen kann, ist "The Crown". 400 "King's Heads" und 300 "Queen's Heads" laden zur Tränke. "The Red Lion" und "The white Lion" sind ebenfalls recht häufig, und Namen von englischen Helden wie "Admiral Nelson" werden auch gerne verwendet. Allerdings gibt es einige ungewöhnliche Ausnahmen, die meist eine eigene kleine Geschichte erzählen:

So war der "Nobody Inn" in Devon ehemals im Besitz eines äußerst mürrischen und eigenbrödlerischen Landlords. Immer wenn Kundschaft kam, rief er schlechtgelaunt: "There's nobody in!" ("Niemand da!") - daher der Name.

"The Pack of Cards", ein weiterer Pub in Devon, ist wie ein Kartenspiel aufgebaut: Es gibt vier verschiedene Etagen für jede Farbe (englisch: suit), dreizehn Türen für 13 Karten in jeder Farbe und 52 Fenster (52 Karten machen ein Kartenspiel). Nach einem glückreichen Kartenspiel soll der frühere Landlord es selbst entworfen haben.

Bei recht einzigartigen Namen wie "Pig" (Schwein), "Whistle" (Pfiff) oder "Frog and Nightgown" (Frosch und Nachthemd) bleibt die Geschichte dagegen im Dunkeln. Der längste Name für einen englischen Pub ist "The London, Chatham and Dover Railway Tavern".

Verständlich daß es bei 60.000 Pubs dem einen oder anderen Besitzer recht schwer fällt einen zugleich passenden und originellen Namen für seinen Pub zu finden. Ein offensichtlich verzweifelter Barbesitzer rettete sich aus dem Dilemma, indem er seinen Pub "The House with no Name" taufte.

Ale und Beer

Heutzutage werden beide Begriffe für Bier verwendet. Im Norden Englands nennt man es "ale", im Süden eher "beer" - und doch ist jedesmal das gleiche Gebräu gemeint. Das war nicht immer so: Ale ist ein wesentlich älteres Getränk, und da erst im 15. Jahrhundert flämische Siedler den Hopfen mit auf die Insel brachten, der zuvor in ganz Britannien unbekannt war, enthielt das "Ale" vormals keinen Hopfen, im Gegensatz zu der neuen Biersorte, die sich von da an zunehmender Beliebtheit erfreute, dem "beer". Heutzutage kann man kein echtes hopfenfreies Ale mehr kaufen, nur noch das Wort erinnert daran.

Legende der "Stars"

Von jeher war der Pub ein Treffpunkt und Versammlungsort, Kult- und Kommunikationsstätte. Eine Brauerei hat einmal ausgerechnet, daß sich allein in ihren Pubs mehr als 3.000 verschiedene Interessengruppen treffen - vom Sportverein bis zur politischen Partei.

Zu Shakespeares Zeiten wurden in Pubs sogar als besondere Attraktion Theaterstücke aufgeführt, und in der gleichen Tradition entstanden ebenfalls hier im letzten Jahrhundert die sogenannten "music halls", eine Art Varietétheater, in dem die Besitzer einiger Pubs Sänger und Komiker zur Unterhaltung ihrer Gäste engagierten. Der Begriff "Star" wurde erstmals in einem derart entfremdeten Pub geprägt. Ein Gast soll damals einen Witz gemacht haben, indem er den Doppelsinn des "phrasal verb" "to come out" verwendete: "The singers and artists are like 'stars', because they come out every night" (to come out: 1. auftreten (Schauspieler) 2. erscheinen (Sterne)).

"Time, gentlemen, please!"

Mit diesen Worten wird die Sperrstunde angekündigt. Danach kann man kein Getränk mehr an der Bar kaufen.

Pubs sind in England den ganzen Tag über geöffnet, doch von 11 Uhr bis 14.30 Uhr und von 18.00 - 22.30 oder 23.00 machen sie eine Pause. Diese Regelung besteht seit dem ersten Weltkrieg, denn damals fürchtete der britische Premierminister, daß die Leute in den Fabriken andernfalls nicht genug arbeiten würden. Heute liegt den Pubbesitzern selbst nichts daran, die Öffnungszeiten wieder zu ändern, denn auf diese Weise können sie eine große Kundenzahl in kurzer Zeit bewältigen, und mehr Publikum würde selbst bei längeren Öffnungszeiten nicht kommen.

Was man beim Besuch eines Pubs wissen sollte

Kinder dürfen vor Vollendung des 14. Lebensjahres keinen Pub betreten und auch dann nur in Begleitung ihrer Eltern. Erst mit 18 darf man alkoholische Getränke kaufen.

In englischen Pubs gibt es keine Bedienung. Man "kauft" (buys) sich einen "drink" an der Bar. Üblicherweise läßt man sich sein benutzes Glas wieder auffüllen.

Geht man in einer geschlossenen Gruppe in einen Pub, zahlt nicht jeder für sich, sondern die Getränke werden in Runden gezahlt, d.h. der erste "buys a round", zahlt also für alle ein Getränk, dann der nächste usw., bis die Reihe um ist. Dann beginnt automatisch wieder der erste.

Biersorten

Ein Bierliebhaber soll einmal gesagt haben: "There are two sorts of beer in the world: the English sort and the sort everybody else drinks".

Nun, vielleicht ist nicht gerade jeder ein Freund von gutem warmen und dunklem englischen "beer", ... die in England traditionell bevorzugte Servierqualität. Der Tourismus und die Erfindung des Kühlschranks hat allerdings auch hier einiges geändert, und Engländer bekommen allmählich Geschmack an hellem, eisgekühlten deutschen Bier, das hier allerdings "lager" genannt wird. Wer sein Bier noch immer auf typisch englische Art genießen will, bestellt "a pint of bitter, please". Und last but least sei noch das gute alte Guinness erwähnt, ein starkes dunkles Bier aus Irland, das sich ebenfalls einer großen Fangemeinde erfreut.

Darts

In allen Pubs hängt eine Zielscheibe, an der sich die Gäste zu lockeren "Darts-Wettbewerben" zusammenfinden. Darts sind kleine Wurfpfeile. Diese Tradition stammt noch aus der Zeit Robin Hoods, in der alle Briten Pfeil und Bogen bei sich trugen und auf dem freien Feld hinter dem Pub ihre Geschicklichkeit maßen. Heute tragen gerade diese kleinen sportlichen Wettkämpfe zur Geselligkeit bei, zum Kennenlernen und "ins Gespräch kommen", was nirgends bei den Briten so leicht möglich ist, wie gerade hier.

"Let's go down to the local for a pint" ist daher auch einer der üblichen und häufigsten Aussprüche eines Engländers. Gemeint ist der nahegelegene Pub, wo man einander kennt, wo man sitzen, trinken, Geschichten hören, sein Anglerlatein erzählen, diskutieren oder nur seinem Hund ein Glas Bitter kaufen kann. Alle Pubs sind verschieden: Sportfans, Tierliebhaber, Jazzmusiker, verhinderte Dichter oder Shakespearefans geben ihrem Pub jeweils die individuelle Note, indem sie ihn mit Kitsch und Kunst liebevoll ausdekorieren.

All das spiegelt einen Teil des kulturellen Insellebens wieder und wird nur deshalb selten erwähnt, weil ein Pub wohl der einzige Ort in England ist, in dem kein Tee ausgeschenkt wird. Nichts gegen Tee, doch ist er mit Sicherheit nicht das britischste aller Getränke. Die Briten, Schotten, Iren und Waliser sind im großen und ganzen ein recht trinkfestes Völkchen, die ihren auf der Insel gebrauten oder destillierten Getränken gerne und in Gesellschaft zusprechen.

Wer sich in diese Festen vorwagt und selber ein paar Runden mithalten kann, der wird gern von den sonst eher zurückhaltenden Briten in der Pub-Gemeinschaft aufgenommen. Am heimlichen Nabel des britischen Kulturlebens lernt er nicht nur Land und Leute, sondern auch die Sprache auf eine Weise kennen, wie sie nicht nur im Radio, sondern tatsächlich auf der Straße gesprochen wird. Doch nicht jedem sei zu dieser Lernmethode geraten, bedarf es doch einer qualifizierten Leber und dem festen Willen, das eigentliche Ziel auch nach ein paar Gläsern nicht aus dem Auge zu verlieren.

Erstveröffentlichung 1996


14. Februar 2007