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INTERVIEW/026: Suchmaschine - Subversion der Observation ...    Arne Babenhauserheide im Gespräch (SB)


Freenet für freie Kommunikation

SUMA-EV-Kongreß am 11. Februar 2015 in Hamburg


Einmal im Jahr zeichnet der SUMA-EV Projekte im Internet aus, die für die Zukunft der digitalen Welt einen wesentlichen Beitrag leisten. Die Zielsetzung ist immer dieselbe, aber das Thema der Ausschreibung variiert von Jahr zu Jahr. 2015 ging der mit einem Preisgeld von 2500 Euro dotierte Suma-Award an die beste kreative Idee zum Schutz gegen die Überwachung im Netz. Auf diese Weise wird ein selbstorganisiertes, auf Eigeninitiative beruhendes Projekt unterstützt, das zeigt, daß der einzelne Mensch nicht zur Ohnmacht verdammt ist, sondern der omnipräsenten Kontrolle seiner elektronischen Kommunikation einen virtuellen Freiraum entgegensetzen kann.

Je mehr die Menschen zum Ziel staatlicher Überwachung wie privatwirtschaftlicher Datenerfassung werden und dabei eine Art virtueller Doppelgänger entsteht, der mehr über ihre Eigenarten und Gewohnheiten verrät, als sie vielleicht selbst wissen, desto schützenswerter wird ihre informationelle Selbstbestimmung. Den freien Austausch von Fakten, Inhalten und Kritik zu gewährleisten, ist gerade dann von Belang, wenn sie mit existentiellen Fragen konfrontiert werden, die nach einer Veränderung der gesellschaftlichen Bedingungen verlangen. Man könnte auch sagen, daß Bürgerrechte gerade dann ihre Bedeutsamkeit für eine produktive gesellschaftliche Entwicklung unter Beweis stellen, wenn sie normativ eingeschränkt und durch eine zur Selbstermächtigung neigende Exekutive bedroht werden. Ohne die Gewährleistung einer Partizipation an der politischen Willensbildung, die umfassender Meinungs- und Pressefreiheit ebenso bedarf wie des Schutzes von Quellen und Informanten, die die Machenschaften mächtiger Akteure aus den Apparaten und Institutionen heraus aufdecken, verkommt jeder Anspruch auf die demokratische Souveränität der Bevölkerung zu hohler Symbolpolitik.


Am Rednerpult mit Scheck und Urkunde - Foto: © 2015 by Schattenblick

Preisverleihung durch Dr. Wolfgang Sander-Beuermann (SUMA-EV) an den Vertreter des Freenets
Foto: © 2015 by Schattenblick

Von daher fiel die Wahl der Jury unter den knapp 50 eingereichten Vorschlägen wohl nicht zufällig auf das Freenet-Projekt, das auf der Basis eines dezentralisierten Netzwerks den sicheren Austausch von Text-, Video- oder Audio-Dateien gewährleistet und die Ausspähung durch Dritte ausschließt. Das Freenet steht für den Aufbau eines Parallel-Internets auf privaten Rechnern mit Hilfe einer Peer-to-Peer-Software, die einen zentralen Server oder ähnliche leicht infiltrierbare Strukturen konsequent überflüssig macht. Dezentralisierung, Redundanz und Verschlüsselung sind die Wesensmerkmale des Freenets, welches das reguläre Internet lediglich als Übertragungsfunktionalität nutzt. Gewissermaßen als eigenes Netz im Netz bleibt es für den Rest des Internets weitgehend unsichtbar. Als Repräsentant des Freenets nahm Arne Babenhauserheide den Preis der Jury entgegen.

Zu Beginn seiner Dankesrede verwies er auf ein Zitat des Rechtsanwaltes und Autors Mike Godwin, der darüber nachdachte, ob seine Tochter ihn nicht in zehn oder fünfzehn Jahren fragen könnte, wo er gewesen sei, als dem Internet die Pressefreiheit genommen wurde.


Zitat Mike Godwins als Projektion - Foto: 2015 by Schattenblick

Worte eines Pioniers für Informationsfreiheit
Foto: 2015 by Schattenblick

Babenhauserheide ging danach auf die Unterschiede zwischen analoger und digitaler Kommunikation ein. In der analogen Welt könnten Menschen nicht zu jeder Zeit frei kommunizieren. Dies sei auf einen engen Kreis von Leuten reduziert, die als vertraulich eingestuft werden, und vollzieht sich in Situationen, wo keine fremden Ohren oder versteckte Mikrophone mithören. Aus diesem Grund werden staatliche Abhörmaßnahmen auch übereinstimmend als massiver Eingriff in die bürgerlichen Individual- und Freiheitsrechte wahrgenommen. Bei öffentlichen Auftritten wie jetzt bei der Preisverleihung beschränke er sich auf seine Rolle als Vertreter des Freenets, was nichts anderes darstelle als eine Form der Selbstzensur. Es gebe ansonsten laut Babenhauserheide noch die Möglichkeit, pseudonym zu reden, wenn man Sicherheitsbedenken hat. So könne man Bücher bestimmten Inhaltes veröffentlichen, anhand derer man als Autor nicht kenntlich gemacht werden könne, aber die Leser dennoch wüßten, daß hinter dem Deck- oder Künstlernamen immer der gleiche Mensch steht.

Diese Möglichkeiten hat man Babenhauserheide zufolge im Datennetz jedoch nicht. Seit Beginn der NSA-Affäre sei es allgemein bekannt, daß unter vollständiger Überwachung weder eine vertrauliche noch eine pseudonyme Kommunikation möglich ist. Weil das Internet einen immer größeren Einfluß auf das analoge Leben nimmt, gerät das analoge Leben zu einem Spiegelbild des beschränkten Lebens im Internet. Vor 15 Jahren hätte er noch unbekümmert und sorglos im Internet kommuniziert, sich in Foren mit Leuten ausgetauscht und E-Mails geschrieben. Spätestens seit Edward Snowdens Enthüllungen sei ihm diese Unschuld jedoch endgültig genommen worden. Doch sei zumindest den Unternehmen und Privatpersonen, die das Freenet nutzten, schon ab 2001 klar gewesen, daß das Netz verstärkt überwacht werde, wenngleich es sich seinerzeit noch um ein diffuses Bedrohungsgefühl gehandelt habe.


Im Vortrag - Foto: © 2015 by Schattenblick

Arne Babenhauserheide
Foto: © 2015 by Schattenblick

Für Babenhauserheide ist das Freenet nicht nur eine Alternative zum überwachten Internet, wo Selbstzensur schon aus Gründen der Sicherheit zur Pflicht wird, sondern es bietet dank Snowden auch eine Art zweite Chance, die vertrauliche und pseudonyme Kommunikation, für die das Internet einst gestanden hat, wiederzuerlangen. Wenn das Freenet über den eigenen Rechner läuft, kann man sich direkt und damit ohne Umweg über einen zentralen Server mit einem anderen Teilnehmer verbinden und Daten austauschen. Dadurch, daß über den gleichen Kanal auch die Daten des gesamten Freenetverkehrs laufen, wird die Kommunikation, anders als beim konventionellen E-Mail-Verkehr, komplett verdeckt. Mit dem Freemail als einer Verknüpfung von Freenet und E-Mail kann man auch Nachrichten zu anderen Freenet-Nutzern verschicken, sofern man deren Pseudonyme kennt. Dies sei nach Ansicht des Freenet-Aktivisten gegen die üblichen Formen der Überwachung immun. Selbst wenn das Netz vollständig überwacht werden würde, könnten Nachrichtendienste nur die Information gewinnen, daß jemand von irgendwem eine Nachricht bekommen hat, ohne jedoch auf den Inhalt oder den Absender zurückgreifen zu können. Sichergestellt und realisiert würde dies durch das sogenannte WebOfTrust, in dem nicht einmal die Identitäten der Teilnehmer gezeigt werden.

Babenhauserheide versichert, daß die meisten Funktionen aus dem normalen Internet auch im Freenet zur Verfügung stehen, dort jedoch um die Dimension einer vertraulichen und pseudonymen Kommunikation erweitert sind. So lassen sich Dateien und Ordner unter einem Schlüssel, der nur für einen selbst zugänglich ist, hochladen, während alle anderen Freenet-Nutzer herunterladen können. Dies sei selbst dann gewährleistet, wenn man den eigenen Rechner ausschaltet, da die Informationen auf den Rechnern der anderen - verschlüsselt und in kleine Teile zerhackt - weiterhin verfügbar bleiben. Der Inhalt verschwindet mit der Zeit, aber die einzelnen Stücke werden wieder hochgeladen und damit rekonstruiert, wenn jemand erneut auf die Datei zugreift. Sie ist solange verfügbar, wie sich Nutzer dafür interessieren, und durch eine begrenzte Zwischenspeicherung von Kopien ermöglicht das Netz schnelle Zugriffe auf häufig abgerufene Dateien.


Projektion zu Technik und Politik - Foto: 2015 by Schattenblick

Die Selbstermächtigung der Technokraten stoppen
Foto: by Schattenblick

Aufschlüsse über den Urheber einer Information und deren Nutzer, wie sie im Internet über IP-Nummern und Web-Adressen (URLs) gewonnen werden können, lassen sich im Freenet nicht erlangen. Im Unterschied zu den Domain-Namen im normalen Netz erhält jede Freenet-Datei lediglich einen Schlüssel mit Informationen über den Inhalt einer Datei, über den der Absender jedoch nicht identifiziert werden kann. Weil derjenige, auf dessen Rechner eine Freenet-Datei liegt, weder mit dem Urheber noch einem Nutzer identisch sein muß, hat ein strafrechtliches Verfahren keine Aussicht auf Erfolg.

Dies ist vor allem wichtig für Menschen, die von eklatanten Verstößen gegen geltendes Recht, Fällen von Amtsmißbrauch oder anderen Formen der Rechtsbeugung durch Recherchen oder am Arbeitsplatz erfahren und die Öffentlichkeit darüber in Kenntnis setzen wollen. Sie haben häufig das Problem, daß der Weg über die Dienstaufsicht entweder versperrt oder korrumpiert ist bzw. der einzelne sich in seiner Verletzlichkeit nicht exponieren will. Whistleblower wie Chelsea Manning und Edward Snowden oder der Sprecher der Enthüllungsplattform WikiLeaks, Julian Assange, bezahlen für ihre Zivilcourage im Vertrauen auf die Rechtsgültigkeit ihres Anliegens einen sehr hohen Preis, den zu entrichten nicht jeder Mensch in gleicher Weise bereit ist. Im Zeitalter der Informationsgesellschaft, wo datenelektronische Kommunikationswege die Voraussetzung dafür sind, daß Menschen angemessen an den gesellschaftlichen Entwicklungen beteiligt werden, ist ein Netz, das Pressefreiheit und den sicheren Austausch von Inhalten ohne Überwachung und Zensur ermöglicht, eine Grunderfordernis, um eben solchen Auswüchsen entgegenwirken zu können, wie sie die zur Zielscheibe staatlicher Vergeltung gewordenen Whistleblower aufgedeckt haben. Möglicherweise bestand ihr Hauptfehler darin, daß sie ihre Identität nicht schützen konnten, als sie Kräfte herausforderten, die im Dunkelfeld parlamentarischer Kontrolle nach Belieben demokratische Grundrechte aushebeln können.

Babenhauserheide gibt zum Ende seines kurzen Referats die Vision wieder, wie ein Whistleblower einem Journalisten Informationen geben könnte, ohne selbst in die Schußlinie zu geraten. Diese Person, die beispielsweise von behördlicher Korruption in welcher Form auch immer Wind bekommen hat, erzählt einem alten Freund von ihren Entdeckungen. Dieser gibt ihr schließlich, nachdem er sich die Geschichte angehört hat, einen USB-Stick mit der Aufforderung, ihn in ihren Laptop zu stecken und im Freenet einen Journalisten zu suchen, der vertrauenswürdig und bereit ist, der Sache auf den Grund zu gehen. Sie schickt ihm die Informationen mittels Freemail und schaltet den Rechner aus. Keinerlei Daten bleiben zurück, nichts wird auf der Festplatte gespeichert. Bevor sie sich ausloggt, hat der Rechner ihr einen QR-Code gezeigt, den sie mit dem Handy fotografiert hat, damit sie das nächste Mal mit der gleichen Identität starten kann. Eine Woche später hält sie den QR-Code vor die Kamera des Laptops und schaut nach, ob sie eine E-Mail von dem Journalisten erhalten hat. Tatsächlich ist eine Mail mit Nachfragen des Journalisten eingetroffen. Nachdem ihn die Antworten und Auskünfte zufriedengestellt haben, schreibt er einen Artikel für seine Zeitung und hängt den Skandal an die große Glocke. Die Person aus der Vision Babenhauserheides mußte das Schicksal Snowdens nicht teilen, konnte aber dennoch ihrem Gewissen folgen, weil das Freenet sichergestellt hat, daß der Informationstransfer an den Journalisten anonym blieb. Sie hat sich zu keiner Zeit in Gefahr gebracht und konnte doch ihrem Anliegen folgen, Schaden von der Gesellschaft abzuwenden.


Projektion 'Nutzt Freenet' - Foto: 2015 by Schattenblick

Aufruf zum zivilen Widerstand
Foto: 2015 by Schattenblick

Wie produktiv eine solche Lösung für das Problem des unter anderem durch die geplante Vorratsdatenspeicherung in Frage gestellten Quellenschutzes für Journalisten auch sein kann, bleibt zu bedenken, daß die Freiheit des Publizierens auch von anderer Seite her in Frage gestellt wird. Wo große Medien- und Verlagskonzerne die Interessen nationaler Funktions- und Kapitaleliten reflektieren, weil ihr Profit von finanzstarken Werbekunden abhängt und ihre Eigner politische Positionen favorisieren, die ihrem Klassenstandpunkt entsprechen, sind Enthüllungen grundstürzender Art stets an mehreren Fronten bedroht. Wie sich in der Folge der NSA-Affäre gezeigt hat, kooperieren große Akteure im Medien- und Kommunikationssektor im Zweifelsfall mit der Staatsgewalt, händigen Dokumente und Verbindungsdaten aus, unterbinden Geldflüsse an kritische Institutionen wie WikiLeaks und üben nicht zuletzt Druck auf kritische Journalistinnen und Journalisten aus, die ihrem gesellschaftlichen Auftrag dann nur noch zum Preis eine Beschädigung der eigenen materiellen Existenzsicherung nachkommen können.

Schließlich ist nicht zu vergessen, daß eine kapitalistische Kulturindustrie auch hinsichtlich ihres Publikums in erster Linie Verwertungsinteressen verfolgt. Wo ein wesentlicher Zweck des multimedialen Broadcastings darin besteht, der arbeitenden Bevölkerung die Spiele zum Brot zu liefern und dabei die Konkurrenz der Marktsubjekte bis zur sozialdarwinistischen Konsequenz aktiv betriebener Ausschlüsse zu befeuern, zeitigen die Auswirkungen der Medien auf das allgemeine kulturelle Bewußtsein entsprechend regressive und destruktive Ergebnisse. Um so wichtiger für die Emanzipation der Bevölkerung von der massenmedialen Konditionierung auf Anpassung und Unterwerfung ist die inhaltliche Kritik an den herrschenden Verhältnissen. Um den einzelnen Menschen dazu zu befähigen, anhand von Fragen, denen in Bildungsinstitutionen, die sich für Staat und Kapital auszahlen sollen, in der Konzernpresse und den öffentlich-rechtlichen Mehrheitsmedien nur bedingt Raum gegeben wird, eine wirksame soziale Gegenposition zu entwickeln, ist eine sichere Möglichkeit des gegenseitigen Gedankenaustausches allerdings unverzichtbar.

Babenhauserheide ließ nicht unerwähnt, daß das Freenet nach wie vor in der Pionierphase steckt. So sei das WebOfTrust noch nicht vollständig skaliert und funktioniere mit zur Zeit 3000 bis 10.000 Nutzern gut. Bei 10 Millionen Nutzern würden einem die sozialen Funktionen des Freenets allerdings noch um die Ohren fliegen. Die technische Grundlage, um eine geschützte Kommunikation zu ermöglichen und die Freiheit von Wort und Schrift zu gewährleisten, seien vorhanden, aber nur Teile der Funktionalität sind bereit für einen Massenbetrieb in Millionenhöhe, so Babenhauserheide, der dem Schattenblick zum Abschluß des Kongresses noch einige Fragen beantwortete.


Arne Babenhauserheide im Gespräch - Foto: © 2015 by Schattenblick

Freiheitsrechte verteidigen, bevor es zu spät ist
Foto: © 2015 by Schattenblick

Schattenblick (SB): Du erwähntest bei der Preisverleihung, von einem Moment auf den nächsten die Entscheidung getroffen zu haben, dich aktiv am Aufbau des Freenets zu beteiligen. Worin besteht für dich der qualitative Unterschied zwischen der Überwachung des elektronischen Datenverkehrs und der Praxis, aus Staatsschutzgründen Briefpost zu lesen und Telefone abzuhören?

Arne Babenhauserheide (AB): Der qualitative Unterschied ist, daß ich jetzt definitiv weiß, daß praktisch alle Daten gespeichert werden und im nachhinein zur Auswertung kommen können. Hinzu kommt noch ein emotionales Moment. Als die kritische Beobachterseite Groklaw, die Tauschbörsenprozesse mitverfolgt hatte, offline ging und in einem letzten Artikel erklärte, daß es nunmehr keinen Schutz vor erzwungener Enttarnung gäbe und mit dem Ende von Groklaw auch das Ende des Internets gekommen sei, wußte ich, daß es nicht mehr möglich ist, sichere E-Mails zu schreiben. Seinerzeit ist mein Entschluß gereift, am Aufbau des Freenets aktiv mitzuhelfen. Es ist ja nicht so, daß man sagen könnte, die Geheimdienste überwachen das Netz, sondern es wird von Leuten überwacht, die ein Problem damit haben, daß man zum Beispiel kritisch über Gerichtsverfahren berichtet. In diesem Verfahren werden natürlich auch immer mal wieder Rechtsbrüche begangen, weswegen sie das Verfassungsgericht dann auch kassiert. Schließlich geht es um fundamentale Grundrechte.

Natürlich muß ich nicht schweigen, wenn irgend etwas bei Gericht schiefläuft. So sehr es auch wichtig ist, dagegen etwas zu unternehmen und im Grunde von meinen staatsbürgerlichen Rechten Gebrauch zu machen, will ich dennoch keine Gerichtsverfahren ausfechten. Denn wer das tut, verliert alles, was er sich an bisherigen Möglichkeiten aufgebaut hat und ist im wahrsten Sinne des Wortes draußen. Man kann das bei den Whistleblowern sehen oder braucht sich nur anzuschauen, was mit Edward Snowden passiert ist, nachdem er die NSA verlassen hat. Ich bin mir relativ sicher, daß er wußte, daß er nicht bei der NSA bleiben konnte, weil sie ihn mit Sicherheit gefunden hätten. Er kannte ja ihre Methoden. Daher war ihm klar, daß er das Land verlassen mußte, wenn er das meldet. Eine solche Situation finde ich untragbar. Wenn jemand irgendwelche Mißstände aufdeckt, dann sollte es möglich sein, diese zu melden, aber wegen der lückenlosen Überwachung geht das nicht.

SB: Du hast heute einen Preis stellvertretend für das Freenet entgegengenommen. Stehst du in direktem Kontakt mit anderen, die das Netz entwickeln?

AB: Vier von denen, die am Ausbau des Freenets mitarbeiten, habe ich schon einmal getroffen. Ansonsten organisieren wir uns über E-Mail-Listen und Direktdiskussionen im Freenet, die oft anonym sind.

SB: Eint euch der Konsens und das gemeinsame Ziel, überwachungsfrei auf elektronischem Wege kommunizieren zu können?

AB: Der Konsens, der uns zusammenhält, steckt in dem Zitat von Mike Godwin, das ich am Anfang vorgelesen habe. Wenn man zurückschaut, realisiert man, daß er recht hatte. Wir haben 1999 mit Freenet versucht, etwas dagegen zu unternehmen. Im Jahr darauf stießen noch mehr Leute hinzu, aber dann kam der 11. September, und plötzlich bekämpften die USA weltweit den Terrorismus. Von diesem Tag an wurde die NSA massiv ausgebaut. Mit ihren Datenzentren sind sie in der Lage, alles zu überwachen.

2000 standen wir am Scheideweg und sind meiner Meinung nach in die falsche Richtung gegangen. Jetzt haben wir dank Edward Snowden vielleicht noch einmal die Möglichkeit, das Rad so weit zurückzudrehen, daß wir wieder in die richtige Richtung kommen und eine Infrastruktur schaffen können, die von den Leuten auch angenommen wird, weil sie realisieren, daß es wichtig ist.

SB: Könntest du Internet-Usern, die keine speziellen Vorkenntnisse haben, erklären, wie diese Infrastruktur beschaffen ist?

AB: Die Infrastruktur besteht darin, daß jeder Nutzer das Freenet auf seinem Rechner am Laufen hält, indem er einen Teil seiner Platte für verschlüsselte Dateifragmente freigibt. Diese Dateifragmente kann man nur wiederherstellen, wenn man die Adresse von einer Webseite im Freenet kennt. Dadurch, daß es auf alle Rechner verteilt ist und wir keine zentralen Server haben, wird sichergestellt, daß niemand Kontrolle darüber ausüben kann. Zusätzlich kann man die Teilnahme am Freenet komplett verschleiern, indem man sich direkt mit anderen verbindet, die man persönlich kennt und die es ebenfalls verwenden. Dadurch wird es sehr schwer, das Netz zu knacken.

SB: Bedeutet persönlich kennen, daß man sich im realen Leben kennt?

AB: Ja, oder daß man mit ihnen schon länger online zusammen ist und das Vertrauen hat, daß sie nicht ihr eigenes Freenet hacken werden, um mich zu überwachen.

SB: Aus dem Publikum kam heute die Frage, was wäre, wenn das Freenet geheimdienstlich unterwandert werden würde. Ist diese Infrastruktur so dezentral und autonom, daß ein solcher Angriff im Grunde genommen keinen größeren Schaden anrichten könnte?

AB: Es kommt auf die Anzahl der Leute an. Aktuell haben wir 10.000 Teilnehmer. Wenn die NSA jetzt ihr gesamtes Personal darauf ansetzen würde, Freenet zu unterwandern, kann man relativ sicher sein, daß sie es schaffen würde. Wenn 10 Millionen Leute im Freenet wären, dürfte es deutlich schwieriger werden. Der Hauptunterschied zwischen Freenet und dem normalen Netz besteht darin, daß sie im normalen Netz bereits die Router und Zertifikate haben. Das heißt, dort müssen sie nicht mehr sozial unterwandern, weil sie wissen, wer etwas tut oder von wem welche Aussagen ausgehen. Im Internet ist es auf technischem Wege möglich, Leute zu überwachen. Im Freenet ist der technische Weg deutlich schwieriger, und wenn die Leute vorsichtig sind, müssen auch Geheimdienste auf die gute alte Polizeiarbeit zurückgreifen. Ich habe gar kein Problem mit der guten alten Polizeiarbeit, weil man sich dann auf die wichtigen Straftaten konzentrieren und kein Geld damit verschwenden würde, E-Mails von Leuten zu lesen, die vielleicht gerade in irgendeinem Online-Spiel aktiv sind und sich deswegen gegenseitig erzählen, wie sie darin Panzer ausgeschaltet haben.

SB: In der Bundesrepublik gibt es soziale Bewegungen wie Blockupy, die gegen die vorherrschenden Interessen aufbegehren. Würdest du das Freenet als einen Bestandteil dieser sozialen Bewegungen begreifen und könntest du dir vorstellen, daß davon auch Mobilisierungseffekte etwa für die Beteiligung an Demonstrationen ausgehen?

AB: Ob es Mobilisierungseffekte gibt, weiß ich nicht. Aber es ermöglicht Leuten, wieder direkt miteinander kommunizieren zu können, ohne befürchten zu müssen, überwacht zu werden. Wenn ich aktuell in Facebook E-Mails schreibe, muß ich davon ausgehen, überwacht zu werden, und daß alles, was ich schreibe, von irgend jemandem gegengelesen wird und später gegen mich verwendet werden könnte, falls ich etwas mache, das den Mächtigen nicht gefällt. Im Freenet kann ich wieder frei reden, und mit diesem Gefühl können auch Meinungen ganz anders formuliert werden. Deswegen kann Freenet ein wichtiger Bestandteil sozialer Bewegungen sein.

Ich führe schon seit längerem ein Zitat in der Signatur: "When free speech dies, we need a place to organize." Das kann Freenet sein. In dem Moment, in dem die Überwachung zu schlimm wird, gibt es immer noch das Freenet, worüber wir uns organisieren und dagegen kämpfen können. Allein, daß es existiert und von Leuten verwendet wird, zeigt, daß es keine vollständige Überwachung geben kann. Deswegen lohnen sich Investitionen in die Überwachung nicht, zumindest nicht für diejenigen, die sie verwenden wollen, um die Gesellschaft zu kontrollieren.

SB: Arne, vielen Dank für das Gespräch.


Zum SUMA-EV-Kongreß in Hamburg sind bisher im Pool
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unter dem kategorischen Titel "Suchmaschine" erschienen:

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28. Februar 2015


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