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STUDIENKRITIK/005: Mediale Interessensverflechtungen - vorgetäuschte Meinungsfreiheit ... (SB)


"Simulierte Diskurse - Verlagskonzerne und ihr Märchen von der Pressefreiheit"


"Fake News" sind zum Synonym einer Mißtrauenserklärung geworden, die deren Urheber nicht davon ausnimmt, ihrerseits mit gezinkten Karten zu spielen. Wurden Inhalte früher noch anhand von Fakten und Argumenten diskutiert, so richtet sich der Anwurf "Fake News" auch gegen mißliebige Gesinnungen, die als solche zu diffamieren keines aufwendigen Nachweises einer irreführenden Absicht bedarf. Der bloße Ideologieverdacht kann ausreichen, eine offene Diskussion zu unterbinden und den anderen als schlichweg böse oder haßerfüllt zu diffamieren. Nicht, daß keine unzutreffenden, sachfremden oder übertriebenen Behauptungen in sozialen Netzwerken präsentiert würden. Sie sind fast so etwas wie die Grundeinheit der Währung sozialer Aufmerksamkeit, die als solche zu erregen wichtiger zu sein scheint als zu weiterführender Erkenntnis zu gelangen.

Nur erweist sich die über die strafrechtliche Verfolgbarkeit von Meinungsdelikten hinausgehende Maßregelung dieses Vorwurfes im Rahmen des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) [1] insofern als fatal, als der inkriminierte Tatbestand des Verbreitens von Falschnachrichten eine normative Aufwertung erhält, die unterstellt, daß alle nicht darunter fallende Nachrichtenproduktion frei von selektiver Gewichtung oder subtiler Wertung sei. Daß dem nicht so ist, weiß die herrschaftskritische und antikapitalistische Linke seit langem. Seit der von der neuen Rechten propagierte Kampfruf "Lügenpresse" die Runde macht, schließen sich allerdings die Reihen, um die etablierten Verlagsmedien vor ihrer vermeintlich allein ideologisch motivierten Demontage zu schützen.

So wenig, wie sich das Zeitungsgewerbe den pauschalen Vorwurf der Lüge gefallen lassen muß, so wenig repräsentieren seine Produkte etwas anderes als eine Wahrheit unter mehreren. Genauer gesagt, die dort propagierte Weltsicht entspringt einem Klasseninteresse, das vor allem die sozialökonomische Position der In- und Teilhaber der Verlagskonzerne reflektiert. Wie die Journalistin und Dozentin Ulrike Sumfleth in der Studie "Simulierte Diskurse - Verlagskonzerne und ihr Märchen von der Pressefreiheit" herausstellt, wird der privatwirtschaftliche Pressemarkt von einem aus elf Konzernen bestehenden Oligopol beherrscht. Auf dem Markt der Tageszeitungen ist die Konzentration noch höher, dort decken fünf Verlagsgruppen 99,5 Prozent der Verkaufsauflage ab.

Begünstigt durch eine Lockerung des Kartellverbotes im Bundestag im März 2017, die die Zusammenarbeit der Verlage bei Werbung, Marketing und IT-Entwicklung stärkt, hat sich eine Meinungsmacht herausgebildet, in der Interessen manifest werden, die in Berichterstattung und Kommentar nicht eigens beim Namen genannt werden. So dürften die vielfältigen pressefremden Aktivitäten der Verlagskonzerne den meisten KundInnen ihrer Printprodukte kaum klar sein. Die Vermarktung von Unterhaltungsware wie Filme und Bücher, die Vermittlung von Konsumgütern und Dienstleistungen aller Art oder Angebote sozialer Netzwerke etwa zur Partnersuche sind wesentliche Betätigungsfelder der großen Firmengeflechte, die Medienkonzerne wie Bertelsmann, Axel Springer, Burda, Holtzbrinck oder Gruner + Jahr unterhalten. Beste Voraussetzungen also für einen bunten Strauß publizistischer Blüten, die sich nicht mehr trennscharf in Journalismus und PR unterteilen lassen, sondern als Content-Marketing oder Cross-Promotion Opportunitätsgewinne aller Art freisetzen.

Zudem sind die nach wie vor hohe Rendite erwirtschaftenden Verlagskonzerne über finanzielle Beteiligungen vielfältig mit anderen Unternehmen vernetzt, sie kooperieren als Medienpartner mit einer Vielzahl von Lobbyverbänden, praktizieren ihr Agenda Setting in hochkarätig besetzten öffentlichen Veranstaltungen, betreiben in Form politischer Einflußorganisationen wie der Bertelsmann Stiftung Gesellschaftspolitik und mischen in geostrategischen Kampagnen deutschen Hegemonialstrebens mit. Als integrale Elemente des Kartells aus Staat und Kapital sorgen sie für ein nicht nur ökonomischen, sondern auch herrschaftsstrategischen Zwecken dienendes Akzeptanz- und Konsensmanagement, das vor allem die Wahrheit ihrer Klasse, der Geld- und Funktionseliten, propagiert. Das schließt keine kritischen Wortmeldungen aus, doch ist die gerne als Beweis gewahrter Pressefreiheit angeführte Meinungspluralität in sich auf eine Weise formiert, die, anknüpfend an die offen antikommunistische Stoßrichtung der früheren BRD-Medien, nach links abweichende Stimmen und Bewegungen nur insofern zuläßt, als ihr widerständiger Kern neutralisiert und integriert werden kann.

Als sogenannter Tendenzbetrieb nach Paragraf 118 Betriebsverfassungsgesetz sind Verlage zudem davor geschützt, ihre Betriebskennzahlen offenlegen zu müssen. Die ökonomischen Gründe für angeblich betriebsbedingte Kündigungen und Umstrukturierungen sind somit nicht überprüfbar, wie die Mitbestimmungsrechte der Lohnabhängigen überhaupt stark eingeschränkt sind. Sumfleth bringt das auf die griffige Formel "Verleger genießen Pressefreiheit - Journalisten genießen Verleger":

Ausgerechnet die Pressefreiheit ist der Deckmantel der Presseunfreiheit. Denn die zweite Auswirkung des Tendenzschutzgesetzes lautet: Pressefreiheit genießt, wer das Kapital besitzt, Journalisten für sich schreiben zu lassen. Der Grund: Die politische Tendenz einer Publikation darf der Verleger nach seiner "Gesinnung" allein anordnen und einfordern. Geregelt ist dies ebenfalls in Paragraf 118 Betriebsverfassungsgesetz. Die Regelung ist eindeutig: Verleger genießen tatsächlich Pressefreiheit. Die rund 20.000 angestellten Verlagsjournalisten genießen Verleger. [2]

Ein Wettstreit der Gesinnungen sei heute allerdings nicht mehr erkennbar, so Sumfleth, denn die "Konglomerate, die den Pressemarkt beherrschen, verfolgen alle mehr oder weniger die gleiche neoliberale Ausrichtung" (ebd.). Wer sich keine Berichterstattung wünscht, in der politische Anschauungen durch Weglassen, Scheindebatten, Ablenkungsmanöver und Feindbildproduktion so formiert werden, daß die Kommandohöhen von Staat und Kapital auch in unübersichtlicher Manöverlage stets unbehelligt bleiben, hat in Zeiten der Netzpublizistik genügend Möglichkeiten, die ganze Bandbreite der jeweiligen Debatte zu erkunden.

Daß JournalistInnen "Geiseln des Systems" (ebd.) seien, weil sie sich nicht in eigener Sache frei äußern könnten, ist allerdings stark davon abhängig, wie sehr sie sich an diesen Erwerbsjob binden respektive wie sehr ihr Interesse an Autonomie sie in die Lage versetzt, alternative Lebens- und Erwerbsformen mit unabhängigen Möglichkeiten des Publizierens zu verbinden. Die soziale Abhängigkeit festangestellter wie freier JournalistInnen von marktbeherrschenden Konzernen ist keine unantastbare Bedingung neoliberaler Gesellschaftsformation, sondern Teil des Problems, das es anzugreifen gilt, und das nicht zuletzt durch die schreibende Zunft.

Die zum Titel der Studie erhobene Simulation massenmedial inszenierter Diskurse trifft zweifellos zu. Das stimmt auf Boulevardniveau, wenn die Luxusprobleme gekrönter Häupter zu seitenfüllenden Stories aufgebauscht oder militante DemonstrantInnen als Objekte populistischen Hasses vorgeführt werden, ebenso wie bei sogenannten Intelligenzblättern, die die Legitimationsstrategien neoliberaler Politik in endloser Mutation des ewig Gleichen am Band produzieren, während der zentrale gesellschaftliche Konflikt massiver sozialer Ungleichheit ausgeklammert oder gar geleugnet wird. Wo die Medienkritik der neuen Rechten von nationalchauvinistischem, rassistischem und patriarchalen Furor überschäumt, wird aus der Simulation der Simulation ein hochprozentiges Narkotikum selbstverliebter Besoffenheit angerührt, das nach der Durchsetzung ihrer Ziele ein besonders grausames Erwachen zeitigen wird.

Der konkret-Autor Kay Sokolowsky hat es dieser Tage knapp und kurz auf den Punkt gebracht:

Selbstverständlich lügt die Presse. Die biegsame Behandlung von Tatsachen ist ihr eingeschrieben wie die Verachtung der Sprache, die sie zu beherrschen meint. Sie lügt, indem sie behauptet, nie zu lügen, sie schwindelt, wenn sie sich über die Interessen erhaben glaubt, die sie vertritt. [3]

Die von ihr in Anspruch genommene Wahrheit wird gerade dadurch gestärkt, daß sie von einer Klientel bestritten wird, deren Wahrheit wiederum so biegsam und feindselig daherkommt, daß das Ansehen der Presse ohne eigenes Zutun an ihr genesen kann. Ihre Sachwalter in den Konzernzentralen herrschaftlicher Interessen zu bezichtigen wird dadurch nicht leichter, denn, so Sokolowsky, der

Hass der Troglodyten adelt die Verhassten, mögen sie noch so kleine Lichter sein, zu Helden der Aufklärung. Pressekritik jedoch, die sich gegen ein verfehltes System richtet und nicht bloß Druckfehler sammelt, wird nun mit Verweis auf die 'Lü-gen-pres-se!'-Schreier bequem zum Verstummen gebracht statt wie in früheren Zeiten mühsam totgeschwiegen.
(Ebd.)

Um so wertvoller sind Handreichungen wie die der Autorin von "Simulierte Diskurse". Indem die strukturellen Grundlagen, gesetzlichen Rahmenbedingungen und ideologischen Imperative privatwirtschaftlich agierender Verlagskonzerne ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt werden, erweisen sich die Schlacht um Lüge und Wahrheit, der Anwurf der "Fake News" und das Herbeizitieren "postfaktischer Zeiten" durch die Bundeskanzlerin als Schattenwürfe einer Verneblungstaktik, die mit schlichter materialistischer Analyse und Kritik auszuhebeln ist.

Sumfleths Verbesserungsvorschläge wie der einer rechtsverbindlichen Definition des Berufes des Journalisten und einer gesetzlichen Kennzeichnungspflicht für PR leuchten ein, erhöhen aber auch den Normierungsdruck, der stets Gefahr läuft, sich gegen unabhängiges und fundamentaloppositionelles Sprechen und Schreiben zu wenden. In einer kapitalistischen Gesellschaft auf ethisch unangreifbare Weise Geld zu verdienen zu wollen idealisiert die Verhältnisse, die dadurch kontrollierbar gemacht werden sollen, auf eine diesen Zweck bereits unterlaufende Weise. Die ihrer Ansicht nach positiven Alternativen im NGO-Bereich weisen angesichts der Notwendigkeit sozialökologisch radikaler Veränderungen das Problem auf, mit systemischen Klammern der Legitimation und Partizipation zu arbeiten. Diese stehen nicht zufällig unter Verdacht, den verbliebenen Potentialen politischer Streitbarkeit den antagonistischen Zahn zu ziehen, wie auch Geschichte und Gegenwart eines politisch höchst ambivalenten Presseproduktes namens taz zeigt.

Je integrierter und angesehener bürgerliche Medien sind, desto zuverlässiger funktionieren sie als ProduzentInnen herrschaftskonformer Legitimation und Indoktrination. Das ist kein moralisches Defizit, sondern konsequenter Bestandschutz kapitalistischer Eigentumsordnung. Den Vorwurf der Lüge zu verabsolutieren, wie es Pegida und AfD tun, macht berechtigte Angst vor der damit angekündigten Wahrheit. Von monopolistisch agierenden Verlagskonzernen etwas anderes zu erwarten als daß sie die Interessen ihrer Klasse vertreten appelliert nicht minder an eine Wahrheit, die die Machtfrage von unten nicht stellen will, weil sie bereits von oben beantwortet wurde.


Fußnoten:

[1] KULTUR/1016: Vom Gerücht zur Falschnachricht ... (SB)
http://www.schattenblick.de/infopool/politik/kommen/sele1016.html

[2] http://downloads.sintfluth.de/files/Simulierte_Diskurse.pdf

[3] http://www.konkret-magazin.de/hefte/heftarchiv/id-2017/heft-112017/articles/nichts-als-die-wahrheit.html

1. November 2017


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