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PRODUKTREFLEXION/001: Der Joker hat den Schwarzen Peter (SB)


Der Joker hat den Schwarzen Peter


Im Batman-Film, THE DARK KNIGHT (USA 2008, R: Christopher Nolan), der in kürzester Zeit alle US-Kassenrekorde brach und schon drei Tage nach Filmstart als einer der erfolgreichsten Filme der Hollywood-Kinogeschichte gilt, sorgt der Joker für Schlagzeilen. Die neue, von Heath Ledger gespielte Joker-Version wird als ausnehmend gewalttätig gehandelt. Unter Einsatz von grausamer, regelloser Brutalität will der Protagonist Gotham City ins Chaos führen - um eine neue Welt der Anarchie zu schaffen.

Der US-Filmstart am 14. Juli bekam Auftrieb vom plötzlichen und tragischen Tod des Joker-Darstellers Anfang diesen Jahres. Heath Ledger starb am 22. Januar an einer Überdosis von Medikamenten. Ob es ein Unfall war oder ob Ledger sich das Leben genommen hat, bleibt bis heute ungeklärt.

Die in der Presse oft gestellte und die Sensationslust der Zuschauer schürende Frage, ob sein Tod möglicherweise mit der düsteren Rolle des perfiden und psychopathischen Jokers zusammenhängt, soll von der Produktionsfirma Warner Brothers gezielt gestreut worden sein.(1) Die Andeutung, der Schauspieler habe sich so intensiv mit dem Joker beschäftigt und sich so weit in seine zerstörte Persönlichkeit eingefunden, dass für ihn selbst nur noch der Selbstmord blieb, erweist sich als Werbekniff der makabren Art. Die Produktionsfirma hat zwar kurz nach Ledgers Tod alle (Internet-)Werbeaktionen mit Ledgers Joker-Gesicht eingestellt, nahm sie jedoch bald wieder auf. Zieht man die "verstörende" Rollendarstellung Ledgers hinzu, ist der erfolgssicheren Mischung aus in der Realität wurzelndem Boulevardskandal und spekulativer Neugier von Seiten des Publikums das Feld bereitet.

Obwohl der neue Joker auf den düstersten Batman-Comics "Die Rückkehr des dunklen Ritters", "Der mörderische Witz" und "Ein Todesfall in der Familie" von Frank Miller basiert, interpretierte der australische Wahlamerikaner Ledger den Joker selbst, anscheinend ohne sich auf die zugrundeliegenden Comics zu beziehen.

Heath Ledger trifft mit seiner Darbietung im wahrsten Sinne des Wortes ins Schwarze. Das Publikum scheint sich dabei gerade von der befremdenden Darstellung des brutalen, die heile Welt in Frage stellenden Jokers angezogen zu fühlen. Das Interesse, das der von den Nolan-Brüdern konzipierten Jokerfigur entgegengebracht wird, offenbart dabei womöglich ein von Superhelden sattes Publikum. Nicht mehr der stille, düstere Antiheld Batman, dessen Persönlichkeit unbekannte Tiefen birgt, fasziniert die Zuschauer, nicht er ist die mächtige Identifikationsfigur der Geschichte, sondern der von Grund auf verdorbene, jeder Logik zuwider handelnde Psychopath. Er schafft es schließlich, mit seiner "Unberechenbarkeit" sogar den stoischen Superhelden aus der als psychisch gesund geltenden Reserve zu locken.

Der Kino-Joker ist eine extreme Spielart des klassischen Narren oder Harlekin aus Theater und Literatur. Heute wird dieser vielschichtigen und bedeutsamen Figur jedoch das veraltete psychologische Schema einer multiplen Persönlichkeit aufgepfropft. Ein Mensch wie der Joker kann nur mehrfach gespalten und von seinem bösen Ich übernommen worden sein, das "Gute" in ihm, so noch vorhanden, ist unterdrückt oder verschüttet und er terrorisiert hemmungslos die ganze Welt. Dabei erscheinen seine Taten als krank, wie auch sein Ziel, die menschliche Doppelmoral zu demaskieren, indem er sie auf die Spitze treibt, und die Welt nach dem Gesetz des Chaos zu regieren.

"Politische" Stichworte unserer Zeit wie "Terror", "Folter" und "Neokonservatismus" werden natürlich auch in den internationalen THE DARK KNIGHT-Diskurs aufgenommen. Hannes Stein meint in seinem Artikel über den neuen Batman-Film in der WELT online vom 27.7.2008:

"Letztlich erklärt den Erfolg von "Dark Knight" in Amerika wahrscheinlich, dass man ihn als sehr erwachsenen politischen Film begreifen kann, ohne sich damit allzu lächerlich zu machen. Der Joker ist ein irre kichernder Mörder, dem materieller Profit piepschnurzegal ist - drastisch vorgeführt wird dies in einer Szene, in der er eine Pyramide aus Dollars abfackelt. Der Joker will also rein gar nichts, er will nur die Welt brennen sehen: Er ist der Terrorist par excellence."
(2)

Stein bezieht sich in seiner Aussage u.a. auf eine Szene aus THE DARK KNIGHT, in der Batmans Butler und Helfer Alfred die Motivation des Jokers erklärt. Mit einigen Menschen könne man nicht verhandeln, so Alfred, da sie kein bestimmtes Ziel verfolgten und nur aus Spaß töteten.

Das scheinbar Sinnentleerte, Ziellose koppelt hier den sogenannten "Terroristen" von jedem Motiv, jeder Motivation und damit jedem Verständnis für seine Taten ab und begründet bzw. stützt so eine Ideologie, in der das reine Böse in der Gestalt des entmenschten Artgenossen zu Recht die grausamsten Vernichtungsabsichten in Verbindung mit unversöhnlicher Verachtung der übrigen menschlichen Gesellschaft auf sich ziehen muss.

Ob die Frage nach dem Erfolg des Films beim amerikanischen Publikum allerdings ausreichend damit beantwortet ist, dass er neben seiner spannenden und unterhaltsam erzählten Geschichte in dieselbe Kerbe schlägt wie die gnadenlose Stimmungsmache gegen vermeintliche "Terroristen", darf bezweifelt werden. Vielleicht ist gerade der Joker in seinem Spiel mit der tabula rasa, der Chaos-Welt, die er sich als Ausgangspunkt für seine Herrschaft wünscht, mit seinem unerklärlichen und deshalb unheimlichen Verhalten dem Zuschauer mittlerweile näher, als der in geregelten Bahnen laufende Alles-wird-gut-Stadtalltag von Gotham City.

Natürlich ist es nicht erlaubt, sich mit der Chaos-Ideologie des Jokers zu identifizieren. Dazu ist er zu hemmungslos, gewalttätig und verdorben. Aber nur ansatzweise den Blickwinkel des Jokers einzunehmen, der zwar selbst grausam ist, sich dabei aber nicht scheut, die doppelbödige Grausamkeit der "Guten" zu entlarven, ist ernüchternd und erleichternd zugleich. Eines ist sicher: Die Figurenkonzeption des Jokers birgt gerade in der heutigen Zeit ein Potential, das weit über das üblicherweise als krankhaft motivierte Psychopatentum hinaus geht.


Anmerkungen:

(1) 'The Dark [K]Night' trifft den Nerv der Zeit. Format online,
http://www.format.at/articles/0833/520/215727/the-dark-night-nerv-zeit, 15.08.2008

(2) Rekord-Start - Ganz Amerika im Ledger-Batman-Fieber. die welt online,
http://www.welt.de/kultur/article2234990/Ganz_Amerika_im_Ledger-Batman-Fieber.html, 27.07.2008

19. August 2008