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FRAGEN/019: Gespräch mit der simbabwischen Schriftstellerin NoViolet Bulawayo (afrika süd)


afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
Nr. 2, März/April 2017

Wir brauchen einen neuen Namen


Der simbabwischen Schriftstellerin NoViolet Bulawayo gelang mit ihrem Roman "Wir brauchen neue Namen" ein furioses literarisches Debüt. Manfred Loimeier interviewte die in den USA lebende Autorin für "afrika süd".


Manfred Loimeier: Nach 13 Jahren Abwesenheit kamen Sie 2013 erstmals wieder nach Simbabwe. Was fühlten Sie bei der Ankunft?

NoViolet Bulawayo: Meine Rückkehr war sehr ergreifend. Selbstverständlich war das Land inzwischen ein völlig anderes geworden, ich konnte es kaum wiedererkennen. Es erholte sich gerade von seiner Krise und der Alltag hatte sich weitgehend normalisiert. Aber alles war inzwischen sehr heruntergekommen, viele Freunde und Familienmitglieder waren ins Ausland gegangen. Besonders frustrierend und auch verwirrend war es, so viel Polizei auf den Straßen zu sehen, die Autofahrer schikanierte und erpresste. Es gab Stromausfälle, Ausfälle bei der Wasserversorgung, Gesundheitssystem und Erziehungswesen waren zum Erliegen gekommen und der Lebensstandard war sehr gesunken. Doch während meiner späteren Reisen nach Simbabwe bin ich langsam wieder vertrauter mit meiner Familie geworden, die Dinge wirken nun weniger befremdlich. Mitunter habe ich Auseinandersetzungen mit Freunden und der Familie, denn meine und deren Ansichten haben sich geändert, so wie sich die Lebensgrundlagen in unserem Land gewandelt haben. Für mich ist es wichtig, meine Identität zu behaupten und Räume für mich zu beanspruchen.

Manfred Loimeier: Inwiefern hat sich Ihre Identität verändert - sofern Sie das so konkret festmachen können?

NoViolet Bulawayo: Jeder Mensch wird von dem Raum verändert, in dem er lebt. Das zeigt sich schon darin, wie man die Entwicklungsprozesse des Landes beurteilt, in dem man lebt. Menschen in Simbabwe, die zuletzt noch versucht hatten, die Regierung aus dem Amt zu wählen, bemühen sich nur noch, von Tag zu Tag ihr Auskommen zu finden. Ich bin der Meinung, dass wir mehr erreichen könnten. Viele sind gegangen, aber manche sind zurückgekommen. Das bringt neue Ideen und Perspektiven, was sich hoffentlich auszahlen wird.

Manfred Loimeier: Sie gingen 1999 zum Studium in die USA. Wie begannen Sie zu schreiben?

NoViolet Bulawayo: Ich kam im Dezember 1999 ans Kalamazoo Valley College in Michigan, um Jura zu studieren; zu meinem Studienplan gehörte auch ein Kurs in Schreiben. Ich mochte Erzählen und Schreiben sehr, ich fühlte mich in diesem Kurs zu Hause. Deshalb habe ich in den folgenden Jahren immer einen solchen Kurs belegt; irgendwann habe ich beschlossen: Das ist es, wofür ich geschaffen wurde. Also habe ich Jura bleiben lassen, machte meinen Master in Fine Arts und fand mich als Schriftstellerin wieder.

Manchmal frage ich mich, wie es gewesen wäre, wenn ich dieselben Möglichkeiten in Simbabwe gehabt hätte. Ich denke, ich hätte ebenso zu schreiben begonnen. Dort hatte ich mit Erzählern zu tun, meinem Vater und meiner Großmutter. Sie haben meine Imagination angeregt. Damit haben sie den Samen gelegt und zu einem wesentlichen Teil zu meiner Entwicklung als Autorin beigetragen, selbst wenn mir das damals noch nicht bewusst war.

Manfred Loimeier: Was brachte Sie dazu, einen Künstlernamen anzunehmen?

NoViolet Bulawayo: Nun, mein Künstlername ist sehr persönlich. Ich habe mir den Namen ausgewählt, um mich von meinen eigenen Dämonen zu befreien - und das hat auch geholfen. Ich hatte die meiste Zeit keine besondere Beziehung, ja eine gewisse Distanz zu meinem offiziellen Namen und verwendete ihn nur in der Schule, sonst hatte ich Ruf- und Spitznamen von meinen Freunden, denn meine Gesellschaft geht großzügig mit Namen um. Als ich mich für einen Künstlernamen entschied, war ich in einer Phase, in der ich darüber nachdachte, wer ich sei und was meine Identität sei. Ein Teil meines Ichs sprach auf verschiedene Weisen zu mir, darunter war der Name Violet, der mit meiner früh verstorbenen Mutter verbunden ist. Deren Abwesenheit hatte mich durch meine Kindheit und Jugend hindurch auf eine besondere, traumatisierende Weise verfolgt. Der neue Name ermöglichte mir, meine Mutter gewissermaßen zu ehren und sie bei ihrem Namen zu rufen, der lange Zeit unausgesprochen geblieben war. Mein zweiter Name Bulawayo - so heißt die Stadt, aus der ich komme - ist das Zentrum meines Volkes. Er ermöglichte mir in den USA, mich mit meinem Zuhause verbunden zu fühlen, denn ich kam mir sehr abgeschnitten vor.

Manfred Loimeier: In Ihrem Roman sprechen Sie von Armut und Korruption. Kritiker behaupten, Sie würden ein negatives Afrikabild verbreiteten. Was sagen Sie dazu?

NoViolet Bulawayo: Der Vorwurf ist unsinnig und kommt von Kritikern, die nicht fragen, in welchen Kontexten diese Darstellungen entstanden. Kein normaler Mensch hat die betreffende Dekade in der Geschichte Simbabwes ohne diese genannten Probleme erläutert, denn genau das passierte tatsächlich. Als Autorin will ich über das schreiben, was mich bewegt und berührt. Und auf dem Höhepunkt der Krise in den Jahren 2008 bis 2010, bekam jeder, der damals eine Familie dort hatte, nahezu täglich Anrufe mit der Bitte um Geld, damit die Leute überleben könnten. Oder Anrufe, wie man aus dem Land kommen könne - und das war auch die Zeit, zu der Simbabwer mit ihren Geschichten an die Öffentlichkeit gingen.

Ich schrieb "Wir brauchen neue Namen" zu einer Zeit, als gerade die Sozialen Medien groß herauskamen. Für meine Recherchen musste ich nur auf Facebook schauen, um Schilderungen zu finden. Mich stören die Kritiken nicht, jedoch ermutige Menschen, tiefer unter die Oberfläche zu schauen. Zwar geht es in meinem Roman auch um Armut, Korruption und Tuberkulose, aber die Figuren zeichnet noch viel mehr aus: die Art der Gestaltung, der Sprache, der Ästhetik.

Manfred Loimeier: Sie kritisieren die Korruption in Simbabwe und den Materialismus in den USA. Dabei vertreten Sie einen humanistischen Standpunkt. Wie ist es möglich, doch Menschlichkeit zu zeigen?

NoViolet Bulawayo: Humanistische Werte können immer aufrechterhalten werden, solange wir daran interessiert sind. Unglücklicherweise leben wir in Gesellschaften, die das Gegenteil fördern. Es gibt beispielsweise keinerlei Rechtfertigung dafür, warum manche Millionen machen und andere von der Hand in den Mund leben - Arme und Arbeiter zu niedrigeren Löhnen schuften müssen. Was ich sagen will: Wir sind nicht hartnäckig genug und es gelingt uns nicht, die Gesellschaften nach den Prinzipien umzugestalten, die eigentlich zählen.

Manfred Loimeier: Ihr Roman ist auch von einem starken Sinn für Humor geprägt. Wie gelingt es, ein derart schwieriges Thema so humorvoll zu gestalten?

NoViolet Bulawayo: Ich finde, Humor ist etwas sehr Menschliches. Um auf die Frage nach Humanität zurückzukommen: Haben wir die Wahl, sie zu verlieren? Selbst an einem Ort wie "Paradise", wo die Leute verstört sind und ein trostloses Leben führen, ist es ihnen möglich, Freundschaften und menschliche Werte aufrechtzuerhalten, die ihnen vom Kollaps des Systems um sie herum nicht genommen werden können. Das ist mir wichtig, weil es zeigt, dass nicht alles verloren ist. Es gibt mehr, was Menschen ausmacht: Humor, Geist, Mut. Humor war eine Möglichkeit, die Leser nicht mit Tragödien zu erschlagen.

Manfred Loimeier: Zur Sprache: Sie integrieren die Sprache Ndebele, nutzen Soziolekte und Jugendsprache. Wie gehen Sie dabei vor?

NoViolet Bulawayo: Es war gar nicht so schwer, diese Sprache zu finden. Ich musste nur an die Sprache meines Volkes und meiner Jugend denken und sie zum Klingen, zum Funkeln bringen - ihre Farben, Eigenheiten und Energie aufscheinen lassen. Sie kommt aus einer sehr oralen Kultur, in der Sprache mehr ist als ein Verständigungsmittel. Ich war von ihrem Reichtum fasziniert. Sprache muss vielseitig gekleidet sein. Angesichts der verschiedenen Geschichtenerzähler in meiner Jugend hatte ich das Glück, das zu erleben. Als es dann darum ging, einen Roman zu schreiben, beziehungsweise überhaupt zu schreiben, wurde mir klar: Mein Sprachsystem ermöglichte mir mehr, als die englische Sprache bieten konnte. Vielleicht war ich keine gute Schülerin in Englisch, aber wenn ich das Englisch der britischen Romane las, die ich sehr liebte, war mein Eindruck, es hatte nicht den gleichen Klang wie meine eigene Sprache. Glücklicherweise brachte diese Heirat zwischen Englisch und Ndebele eine Sprache hervor und füllte sie mit Leben, die es mir erlaubte, meine Geschichte zu erzählen.

Manfred Loimeier: Sie arbeiten an einer Kurzgeschichtensammlung zum Thema HIV. Richtig? Sie haben selbst einen Bruder und eine Schwester wegen Aids verloren.

NoViolet Bulawayo: Ich habe das Projekt zurückgestellt. Es ist ein herausforderndes, allgegenwärtiges Thema und darüber muss geschrieben werden. Aber die Gesellschaft verändert sich. Als mein Bruder starb, ahnten wir nicht, dass er Aids-krank war. Ich war damals 14 Jahre alt und die Krankheit war von einem großen Schweigen umgeben. Im Vergleich dazu haben die Betroffenen heute Zugang zu Medikamenten und leben länger. Die Haltung der Menschen gegenüber HIV hat sich von Schweigen und Stigma dahingehend verlagert, dass Betroffene eben ihre Medikamente nehmen müssen. Das vermittelt aber ein falsches Sicherheitsgefühl, was das Verhalten komplizierter macht.

Manfred Loimeier: An welchen Buch projekten arbeiten Sie gerade?

NoViolet Bulawayo: Es ist noch zu früh, um darüber zu sprechen! Ich bin eine so unstrukturierte Autorin, dass das Ganze erst Wirklichkeit werden muss, bevor ich es ein Buch nenne. Aber ich arbeite an etwas Neuem.


Manfred Loimeier, Autor und Redakteur, lehrt als Privatdozent an der Universität Heidelberg afrikanische Literaturen.

NoViolet Bulawayo: Wir brauchen neue Namen, Roman, Suhrkamp, Berlin 2014.

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Quelle:
afrika süd - zeitschrift zum südlichen afrika
46. Jahrgang, Nr. 2, März/April 2017, S. 30-31
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Juni 2017

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