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INTERNATIONAL/002: Sollen alle Schriftstellerinnen aus Afrika Feministinnen sein? (Frauen*solidarität)


frauen*solidarität - Nr. 148, 2/19

Sollen alle Schriftstellerinnen aus Afrika Feministinnen sein?

Sefi Atta und Pumla Dineo Gqola diskutierten auf dem African Book Festival in Berlin, welche Rolle Feminismus in der Literatur spielen kann und spielen sollte.

von Rita Schäfer


Über vierzig Autor*innen kamen Anfang April in jene europäische Metropole, in der Ende des 19. Jahrhunderts die koloniale Afrikakonferenz stattgefunden hatte. Damals haben die imperialen Mächte den Kontinent untereinander aufgeteilt und den Startschuss gegeben für Plünderungen, Gier, rassistische Kontrolle und Massengewalt, die Millionen Menschen das Leben gekostet hat. Während damals wenige alte weiße Männer ohne die Anwesenheit von Afrikaner*innen über deren Schicksal bestimmt haben, saßen nun neben Literaturprofessorinnen aus afrikanischen Ländern preisgekrönte junge Schriftstellerinnen, deren Werke zu den wichtigsten der Weltliteratur zählen, auf den Podien.

Intensiv reflektierten namhafte Autorinnen und Literaturwissenschaftlerinnen, insbesondere aus dem südlichen Afrika, über die Möglichkeiten und Grenzen des Schreibens, keineswegs nur funktional als Mittel zur Veränderung. Auch Verlegerinnen und Poetinnen aus West- und Ostafrika, aus der afrikanischen Diaspora in Europa und den USA tauschten sich über Probleme im Literaturbetrieb, neue Lesekulturen und Visionen aus. Sie alle verband die Anerkennung der Vielfalt von unterschiedlichen Standorten, Schreibstilen sowie Nutzung und Bedeutung von Sprache und Sprachen.

Dabei standen utopische Entwürfe von einer geschlechtergerechten Welt der Kritik an dystopischen Missständen, an Machtmissbrauch, staatlicher Repression, Militarismus, an Korruption und Gewalt gegenüber. Es sind Machtmuster, die die gewaltsame Unterdrückung von Frauen legitimieren.

An der Überwindung dieser komplexen Verzahnung zwischen patriarchalen Herrschaftsverhältnissen und unterdrückerischen Regimen arbeiten etliche Schriftstellerinnen. Unter ihnen Sefi Atta und Pumla Dineo Gqola. Sie präsentierten ihre spezifischen Standpunkte, die den Facettenreichtum verschiedener Feminismen illustrieren.

Feminismen und Rassismen

Sefi Atta, bedeutende nigerianische Autorin, Dramaturgin und Literaturwissenschaftlerin, die in den USA lehrt, stellte klar, ihre Aufgabe sei es, über Frauen in Nigeria zu schreiben und ihren komplexen Charakteren gerecht zu werden. Sie möchte ihnen nicht ihre eigene Meinung überstülpen. Die Frauen, die sie darstellt, würden sich um Zugang zu Wasser, Gesundheit und Einkommen sorgen und wollten von ihren Ehemännern respektiert werden. Selbst würden sie sich wohl nicht als Feministinnen bezeichnen.

Atta, von der 2018 die Titel The Bead Collector und Selected plays erschienen sind, meinte auch, sie würde zwar nicht automatisch aus einer feministischen Perspektive schreiben, dennoch sei ihr Geschlechtergerechtigkeit ein wichtiges Anliegen. Ihre eher skeptizistische Grundposition verdeutlichte sie an Erfahrungen mit weißen Feministinnen in den USA. Die Literaturexpertin kritisierte, viel zu oft als token herhalten zu müssen, also nur als Vertreterin einer Minderheit kategorisiert zu werden. Elitäre weiße Feministinnen würden diese rassistische Diskriminierung afroamerikanischer Frauen gar nicht wahrnehmen. Atta gab zu bedenken, dass Rassismus in den USA viele Ausdrucksformen habe. Die hohe Zahl schwarzer junger Gefängnisinsassen sei nur eine davon.

Auch zweifelte sie daran, ob Autor*innen einen direkten Einfluss auf Veränderungsprozesse haben und zu mehr Gerechtigkeit beitragen könnten. Literatur könne möglicherweise die Art und Weise beeinflussen, wie Menschen denken. Aber auch das sei kein Automatismus. Denn fünf Minuten später könne sich jemand völlig konträr zu dem verhalten, was er oder sie gerade gelesen hat.

Atta zollte nigerianischen Künstlern ihren Respekt, die als Kritiker an Militärdiktaturen und Machtmissbrauch gefoltert und umgebracht wurden - nicht wegen ihrer Literatur oder Musik. Und sie wies auf starke politische Frauen in deren Umfeld hin, die von diesen Männern wertgeschätzt wurden. Dennoch zögerte sie, die Rolle von Männern im Kampf für mehr Geschlechtergerechtigkeit zu bewerten, denn sie warte auf Gruppen, die wirklich einflussreich seien und Machtstrukturen ändern könnten. Die bereits bestehenden Initiativen von Männern wolle sie damit keineswegs abwerten, doch angesichts der fortbestehenden sexuellen Belästigung sei noch viel zu tun.

Gesetzesänderungen sind laut Atta ein zentraler Schlüssel zum Wandel, diese müssten von Frauen erkämpft werden. Dabei müsse mit männlichen Unterstützern ebenso gerechnet werden wie mit Gegnerinnen von Veränderungen.

Feminismus als grenzüberschreitende Lebensfreude

Wie verschlungen und unterschiedlich die Wege zu feministischen Utopien sind, wurde deutlich, als Pumla Dineo Gqola ihren Standpunkt erläuterte. Sie ist Forschungsdekanin an der Universität Fort Hare in Südafrika und war davor Professorin für Literatur an mehreren südafrikanischen Universitäten. In ihren Werken analysiert sie sexualisierte Gewaltmuster aus einer postkolonialen feministischen Perspektive. Eine ihrer bekanntesten Publikationen ist Reflecting rough: Inside the mind of a feminist (2016).

Dreh- und Angelpunkt ist ihre feministische Position. So stellte sie in Berlin klar, dass sie seit ihrem 15. Lebensjahr überzeugte Feministin sei. Feminismus habe ihr ganzes Leben geprägt, Feminismus sei die Freude ihres Lebens. Sie wisse, da seien Millionen Gleichgesinnter. Feminismus sei erkenntnisreich, schließlich gehe es darum, intersektional zu denken. Das bedeute, sich auch gegen andere Ismen zu wehren, etwa gegen Kapitalismus, Islamophobie und weiße Suprematie-Ansprüche.

Nicht nur das Patriarchat, die Einteilung von Frauen und Männern in getrennte Boxen, in denen alle Menschen wie Gefangene leben, sei das Problem. Es stelle sich auch die große Frage, wie mit dem Unrecht der Gewalt gegen Frauen umzugehen sei. Gqola plädierte dafür, die Käfigtüren aufzureißen und Wege des Aktionismus zu beschreiten, viele solcher Pfade seien bereits von anderen geebnet worden.

In ihren Lehrveranstaltungen bespricht die südafrikanische Literaturprofessorin mit den Studierenden sowohl Texte, die ihr selbst viel bedeuten, als auch problematische Artikel, um gemeinsam herauszuarbeiten, was daran falsch ist. Dabei geht es ihr explizit um historische Rückbezüge und Kontextualisierungen. Gerade dadurch veranschaulicht sie, dass verschiedene feministische Positionen und Ausdrucksweisen möglich sind. Als Feministin wehre sie sich gegen Homogenisierungen, denn es könne für jede etwas anderes bedeuten, Feministin und Autorin zu sein.

Sowohl Gqola als auch Atta betonten, dass sie Hierarchisierungen zwischen schwarzen und weißen Feminismen ablehnen. Sie warnten vor Zuschreibungen und Kategorisierungen, schließlich hätte es auf dem afrikanischen Kontinent bereits in vorkolonialer Zeit feministische Ideen und Verhaltensweisen gegeben, auch wenn diese nicht so genannt wurden. Beide plädierten dafür, Schriftstellerinnen sollten jetzt und in Zukunft ohne kategorisierende Fremdzuschreibungen das sein, was sie sein wollten.


Webtipp: https://africanbookfestival.de/

Zur Autorin: Rita Schäfer ist freiberufliche Wissenschaftlerin und Autorin. Ihre neueste Publikation: Migration und Neuanfang in Südafrika (2019). Seit 2015 Konzeption, Realisierung und Aktualisierung des Länderinformationsportals liportal.de/suedafrika und der Webseite Africanclimatevoices.com zum Klimawandel im südlichen Afrika.

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Quelle:
Frauen*solidarität Nr. 148, 2/2019, S. 20-21
Text: © 2019 by Frauensolidarität / Rita Schäfer
Medieninhaberin und Herausgeberin:
Frauensolidarität im C3 - feministisch-entwicklungspolitische
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veröffentlicht im Schattenblick zum 12. Juni 2020

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