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SPRACHE/968: Deutsche Sprache zwischen Reichtum und Verarmung (TU Dresden)


Dresdner Universitätsjournal Nr. 6 vom 27. März 2018

Deutsche Sprache zwischen Reichtum und Verarmung

Das Lingnerpodium am 18. April 2018 (19 Uhr) diagnostiziert den Zustand des Deutschen zwischen Sprachkultur und Sprachunkultur


Das nächste "Lingnerpodium" am Mittwoch, dem 18. April 2018, widmet sich dem Thema "Deutsche Sprache zwischen Reichtum und Verarmung".

Deutsch gehöre, so die Planer dieser Veranstaltungsreihe vom Förderverein Lingnerschloss, zu den großen Kultursprachen der Gegenwart, die eine ständig wachsende Vielfalt von Ausdrucksmöglichkeiten biete. Gleichzeitig befürchten Kritiker eines zu legeren Bildungssystems und der Bedrängung durch Anglizismen, Fake News und elektronische Kurzkommunikation eine "bedenkliche Verarmung im Sprachgebrauch", die uns alle beträfe.

Sowohl die Rolle des Deutschen als Sprache auf internationaler Ebene als auch des guten Deutsch mit einer möglichst großen Ausdrucksvielfalt verlieren offenbar an Bedeutung.

Was der Begriff "Kultursprache" zu versprechen scheint, wird immer weniger eingelöst. Gesprochene und geschriebene Sprache als Mittler einer Kultur - wie das im Alltag aussieht, kann man manchmal in Museen erleben. Bei einem Besuch im Mozart-Sommerhäuschen Bertramka in Prag vor einigen Jahren war auffällig, dass die Beschilderung der Objekte - neben dem obligaten Tschechisch - plötzlich englisch-, nicht mehr deutschsprachig war. Begründet wurde dies mit der Entwicklung des Tourismus. Was dadurch verloren gehen kann, ist geschichtlich-kulturelles Wissen, denn Mozarts Muttersprache war Deutsch, er konnte weder Tschechisch noch Englisch. Und im Prag seiner Zeit sprach mindestens die Hälfte der Einwohnerschaft deutsch. Wohlgemerkt: Es geht hierbei nicht um revanchistische Forderungen, sondern um das Bewahren kulturhistorischen Wissens.

Gutes Deutsch als Träger einer möglichst großen Ausdrucksvielfalt und damit inhaltlich präziser Formulierungen wird außerhalb der Hochliteratur kaum noch ernstgenommen, Sprachschlampereien werden mit dem Verweis auf den Duden, der dies gestatte, "entschuldigt" oder mit der Erklärung, dass man nach der Rechtschreibreform von 1996 ohnehin nicht mehr wisse, was richtig und was falsch sei, vom Tisch gewischt. Tatsächlich fragt man sich, ob der Duden jede (Fehl-)Entwicklung der Sprache, wenn sie nur häufig genug vorkommt, absegnen sollte. Beispiel: Der Begriff "Albtraum" wird nun im Duden auch als "Alptraum" akzeptiert, obwohl er nichts mit den Alpen, wohl aber mit den Alben (Fabelwesen, auch Elfen) zu tun hat. Sprachschlamperei, auch wenn sie "genehmigt" ist, führt zu einer verringerten Ausdrucksvielfalt und zum Verdecken etymologisch geprägter Kernbedeutungen.

Nicht selten muss vorgebliche Internationalität als Ausrede für sprachliche Gleichgültigkeit herhalten. Das passiert vor allem bei der Weigerung, das "ß" zu nutzen - andere Sprachen kennten kein "ß" und könnten es nicht schreiben, auch sei dessen Verwendung "teutschtümelnd". So kommt es immer wieder zu sprachlichen Missgeburten wie "Strasse", "Fuss" oder "Masseinheit". In einigen Fällen mag das lediglich ein Schönheitsfehler sein, in anderen führt das zu Verständnisschwierigkeiten. "In Maßen genossen, ist Wein gesund" ist etwas völlig anderes als "In Massen genossen, ist Wein gesund".

Kleine Nachlässigkeiten immer wieder fortschreiben - das kann große, weil grundlegend bedeutungsverändernde Wirkung haben. Ein Molière-Stück heißt im Original "Le Malade imaginaire", wörtlich "Der eingebildet" bzw. "vermeintlich Kranke". Es geht also um einen Menschen, der sich einbildet, krank zu sein (aber eigentlich gesund ist). In allen gängigen Texten jedoch, auch in Theaterprogrammen und demzufolge Rezensionen, wird aber geschrieben: "Der eingebildete Kranke". Warum? Schließlich geht es nicht um einen wirklich Kranken, der hochnäsig (eingebildet) ist.

Die Neukonstruktion von Sprachgebilden aus ideologischen Motiven heraus erschwert häufig den Sprachfluss oder erzeugt Irritationen. Sie führte in der Vergangenheit jedoch nie zu den eigentlich intendierten Veränderungen in der realen Lebenswelt.

Als beim sozialistischen Militär die Anreden "Herr" oder "Soldat" durch "Genosse" (aus dem Althochdeutschen "ginoz", also jemand, mit dem man eine gemeinsame Erfahrung in einem bestimmten Bereich geteilt, der dieselben Ziele hat) verpflichtend ersetzt wurde, führte das keineswegs zu einer Aufhebung der sozialen und rangmäßigen Unterschiede und Ungerechtigkeiten unter den Militärangehörigen, sondern machte deren Weiterexistenz nur weniger sichtbar.

Auch die Absicht, durch die Einführung von "religionsfreien" Kunstwörtern wie "Geflügelte Jahresendfigur" für "Engel" die christliche Prägung des Weihnachtsfestes abzuschaffen und das Fest zu einem rein kalendarisch bestimmten zu machen, ging nicht auf - erzeugte aber schwer handhabbare (und meist unbeliebte) Sprachhülsen.

Aus dem ideologischen Bestreben heraus, Frauen in der Gesellschaft "sichtbarer" zu machen, entstanden wild wuchernde, sprech-erschwerende Wortungetüme (Wähler_innen, Wähler*innen, WählerInnen) oder es wurden Begriffe sinnverändert genutzt, um der Frage der Geschlechtszugehörigkeit auszuweichen oder sie zu verdecken. Dem Mehrzahlwort "Studierende" kann man die Geschlechterzusammensetzung der benannten Gruppe genauso wenig entnehmen wie der herkömmlichen Formulierung "Studenten". Die Geschlechterfrage ist hier also einfach "verschwunden" (was sicherlich nicht beabsichtigt war), aber die Exaktheit der Sprache wurde an dieser Stelle verwässert: Es kann zwar, tragischerweise, einen toten Studenten geben, aber niemals einen toten Studierenden, denn mit diesem Begriff ist jemand gemeint, der gerade dasitzt und studiert.

Zur niveauvollen deutschen Sprachkultur gehört auch der angemessene Umgang mit fremdsprachigen Namen, Begriffen und Druckzeichen innerhalb eines deutschen Textes - besonders dann, wenn man sich international geben will. Das ist nicht nur eine Frage der Achtung anderen Kulturen (und damit auch der eigenen) gegenüber, sondern auch wichtig für das Vermeiden von inhaltlichen Missverständnissen. Wer auf Sonderzeichen, vielleicht aus Gründen der Lizenzkosten für Schriften, verzichtet, wird missverständlich; "Hubacek" (Hubatschek) ist eben etwas anderes als "Hubacek" (Hubatzek). Und wenn ein ungarischer Gastwissenschaftler den Namen Zöldség (gesprochen "Söldscheeg"; Gemüse) trägt, sollte man das Strichlein nicht weglassen, denn Zöldseg (gesprochen "Söldschegg") hieße Grünarsch).

Viele dieser und weitere Teilthemen sind Arbeitsgegenstände für Prof. Peter Eisenberg von der Universität Potsdam. Eisenberg ist in den letzten Jahren besonders als Mitautor von Veröffentlichungen des "Dudens" ("Richtiges und gutes Deutsch") sowie von Büchern und Beiträgen zu Fragen der Fremdwörter und Fremdsprachen im Deutschen ("Das Fremdwort im Deutschen") hervorgetreten. Er gilt als das Sprach-As in Deutschland.

D. B./M. B.

Lignerpodium am 18. April 2018 (19 Uhr) im Lingnerschloss Dresden.
Eintritt (zu Gunsten der Sanierung des Lingnerschlosses): 10/8 Euro

Podium: Prof. Peter Eisenberg, Universität Potsdam, Institut f. Germanistik
Dr. Friedrich Dieckmann, Autor und Publizist, Berlin

Moderation: Hans-Peter Lühr
(Publizist)

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Quelle:
Dresdner UniversitätsJournal, 29. Jg., Nr. 6 vom 27.03.2018, S. 3
Herausgeber: Der Rektor der Technischen Universität Dresden
Nöthnitzer Str. 43, 01187 Dresden
Telefon: 0351/463-328 82
Telefax: 0351/463-371 65
E-Mail: uj@tu-dresden.de
Internet: www.dresdner-universitaetsjournal.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 13. April 2018

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