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SPRACHE/816: Syntax des Alemannischen - Eine Sprache wie jede andere (idw)


Universität Konstanz - 25.01.2013

Eine Sprache wie jede andere

Mit ihrem Projekt "Syntax des Alemannischen" stößt die Linguistin Dr. Eleonore Brandner auf außergewöhnlich großes Interesse in der Öffentlichkeit



Die Privatdozentin Dr. Eleonore Brandner erforscht die grammatischen Besonderheiten des südwestdeutschen Sprachgebiets, insbesondere des gesamten alemannischen Sprachraums. In dem von der Deutschen Forschungsgesellschaft (DFG) zunächst von 2012 bis 2014 für drei Jahre finanzierten Projekt "Syntax des Alemannischen" (SynAlm) werden anhand von insgesamt fünf Fragebogenaktionen kompetente Dialektsprecherinnen und -sprecher des Alemannischen nach speziellen Satzkonstruktionen befragt. Die erste, nun abgeschlossene Fragebogenrunde ist auf große Resonanz bei den Befragten in Baden-Württemberg, dem Elsass, der deutschsprachigen Schweiz sowie in der österreichischen Region Vorarlberg gestoßen.

Von folkloristischem oder heimatkundlichem Nimbus, der Dialekt-Projekte oft begleitet, ist im Fall von SynAlm nichts zu finden. SynAlm zeichnet sich gegenüber traditionellen dialektologischen Projekten unter anderem durch die Verbindung von fortgeschrittener Grammatiktheorie und modernen empirischen Erhebungsmethoden aus. Untersucht wurde im ersten Durchlauf zum Beispiel, wie Vergleichskonstruktionen im Alemannischen eingesetzt werden. Die Befragten sollten ankreuzen, ob sie größer als i, größer wie i oder größer als wie i sagen. Solche "Mikrovariationen", wie Unterschiede zwischen den Unterdialekten eines Sprachraumes genannt werden, erforscht das Projekt von Eleonore Brandner über ein Ortsnetz, das jeweils 300 Ortspunkte in Baden-Württemberg und der Schweiz sowie jeweils 15 Ortspunkte im Elsass und in Vorarlberg aufweist. Ein Ortspunkt hat in der Regel einen Umkreis von rund zehn Kilometern.

Um sicher zu gehen, dass die Fragebögen tatsächlich von kompetenten Sprecherinnen und Sprechern des Alemannischen ausgefüllt werden, wurden nicht einzelne Einwohner, sondern Ortsvorsteher angeschrieben, die die Fragebögen weitergaben. Der Rücklauf war nicht nur zahlenmäßig mehr als zufriedenstellend, sondern auch für die Sprachwissenschaftlerin und ihr Team sehr ermutigend. Neben den ausgefüllten Fragebögen kamen auch Briefe, Dialektaufschriebe und ausführliche Kommentare zurück. Die Befragten hatten offensichtlich großes persönliches Interesse an der Untersuchung und nahmen den nicht unerheblichen Zeitaufwand für die Beantwortung der Fragen gern in Kauf. Oft wird den ausgewählten Dialektsprechenden erst durch den Fragebogen bewusst, dass ihr Dialekt eine eigenständige Grammatik besitzt und dass sie, entgegen der landläufigen Auffassung, kein falsches Deutsch benutzen, sondern ein anderes: eine eigenständige Sprache mit einer konsistenten Grammatik. Die Teilnehmenden fühlen sich und ihre Sprache ernstgenommen.

Was gemessen am Hochdeutschen falsch klingt - etwa die doppelte Negation im Satz Des glaubt doch kei Mensch net - ist in anderen Sprachen Standard - wie im Italienischen, Spanischen oder Russischen, in denen durchaus mehrere Negationen in einem Satz vorkommen können, ohne dass sich diese gegenseitig aufheben. Auch Phänomene wie Der Mann, wo ..., Relativsätze, die mit wo eingeleitet werden und die in der gerade beginnenden zweiten Fragebogenrunde thematisiert werden, sind in anderen europäischen Sprachen auf ähnliche Weise zu finden. Das Konstanzer Forschungsprojekt ist eng vernetzt mit entsprechenden wissenschaftlichen Unternehmungen in ganz Europa: Etwa mit dem renommierten Meertens Instituut in den Niederlanden, mit Gruppen in Großbritannien, Norditalien oder mit skandinavischen Teams, die bis nach Island und zu den Färöer Inseln operieren.

"SynAlm" kann unter anderem auf Daten aus der Schweiz zurückgreifen, wenn es um das dortige Ortsnetz geht, wie umgekehrt Schweizer Projekten die an der Universität Konstanz entwickelten Fragen zur Verfügung gestellt werden. Ohnehin ist die Erkenntnis, dass ein Dialekt eine eigenständige Sprache neben anderen ist, in der Schweiz im Gegensatz zu Deutschland Allgemeingut.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution1282

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Konstanz, Julia Wandt, 25.01.2013
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. Januar 2013