Schattenblick →INFOPOOL →BILDUNG UND KULTUR → FAKTEN

SPRACHE/451: Philologie und Globalisierung (Portal Uni Potsdam)


Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung 1-3/2007

Philologie und Globalisierung
Eine Fächergruppe vor neuen Herausforderungen

Von Ottmar Ette, Institut für Romanistik


Es beginnt sich langsam herumzusprechen: Globalisierung ist kein vorherrschend wirtschaftliches Phänomen der Jetztzeit, sondern ein langanhaltender, von verschiedenen Phasen der Beschleunigung (und auch zwischenzeitlicher Entschleunigung) geprägter Prozess, der Neuzeit, Moderne und Postmoderne miteinander verbindet. Er wird nicht nur von politischen, militärischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen, sondern vor allem auch von kulturellen Aspekten bestimmt.


*


Der Begriff der Globalisierung, der sich im Deutschen erst im Verlauf der späten neunziger Jahre durchsetzte, macht nur Sinn, wenn wir ihn mit den infrastrukturellen und intellektuellen Voraussetzungen eines globalen Denkens und Handelns verknüpfen. Und dies begann nicht erst am Ausgang des 20. Jahrhunderts. Neben Navigations- und Kommunikationstechniken ist hierfür die Entstehung eines planetarischen Weltbewußtseins entscheidend.

Wer weiß heute noch, dass die zentrale Etappe der weltweiten Debatte über die Neue Welt 1768 mit Cornelius de Pauw in Potsdam und Berlin begann? Seine "Recherches philosophiques sur les Américains" brachten seine eigene Zeit nicht von ungefähr mit jener des Columbus in Verbindung. Dessen von Anfang an globales Projekt brachte eine erste Phase beschleunigter Globalisierung hervor, die im ausgehenden 15. und 16. Jahrhundert von den iberischen Mächten getragen wurde. Frankreich und England prägten die zweite Beschleunigungsphase, deren Kern in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts liegt und der wir nicht nur neue Anordnungsformen des Wissens, sondern auch die Mehrzahl unserer heutigen Weltbegriffe verdanken. Eine dritte Phase beschleunigter Globalisierung wird im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts dann erstmals von einer außereuropäischen, wenn auch europäisch verfassten Macht geprägt: den Vereinigten Staaten von Amerika. Sie jagen im wohl ersten modernen Medienkrieg der Geschichte 1898 der alten Kolonialmacht Spanien ihre letzten Kolonien ab, wobei sie erfolgreich ihre neue flottengestützte Militärstrategie erproben. Alles schon lange her und längst historisch geworden?

Viele Asymmetrien und Muster dieser früheren Phasen sind - von den Militärstrategien und Biopolitiken über weltwirtschaftliche Verflechtungen bis hin zu Wahrnehmungsformen von Fremdheit und Alterität - in der noch unabgeschlossenen aktuellen Phase beschleunigter Globalisierung präsent. In verdichteter Form führt Literatur sie uns lebendig vor Augen. Die sich gegenwärtig vollziehende Globalisierungsphase ist - wie die anderen vor ihr - höchst spezifisch, aber ohne die in ihr anwesenden früheren Beschleunigungsphasen nicht zu verstehen. Die Anforderungen nicht allein an neue Kommunikations- und Informationstechnologien, sondern vor allem an neue Anordnungs- und Vernetzungsformen des Wissens liegen für die Wissensgesellschaften des 21. Jahrhunderts auf der Hand.

Die Philologien sind als Produkt des 19. Jahrhunderts national bestimmt - und doch ist "unsere philologische Heimat die Erde; die Nation kann es nicht mehr sein", wie der Romanist Erich Auerbach nach der Erfahrung von Verfolgung und Exil, Krieg und Shoah 1952 erkannte. Nicht das Goethesche Konzept der Weltliteratur, wohl aber ein fächerübergreifendes Verständnis der Literaturen der Welt vermag es, transnationalen und transkontinentalen Formen der Zirkulation kulturellen Wissens gerecht zu werden. Die Philologien werden sich anders aufstellen müssen. Eine transareale, die Mannigfaltigkeit der Beziehungen zwischen verschiedenen kulturellen Areas erhellende Philologie ist unverzichtbarer Bestandteil einer sich als Lebenswissenschaft neu konstituierenden Fächergruppe. Sie erst begreift die Literaturen der Welt in ihrem ZwischenWeltenSchreiben als Erprobungsraum einer künftigen Weltgesellschaft. In diesem transarealen, das Nationale neu vernetzenden Bewegungs-Raum liegt die Zukunft der Geisteswissenschaften.


*


Quelle:
Portal - Die Potsdamer Universitätszeitung Nr. 1-3/2007, Seite 14
Herausgeber:
Referat für Presse-, Öffentlichkeits- und Kulturarbeit (PÖK)
im Auftrag des Rektors der Universität Potsdam
Redaktion: Am Neuen Palais 10, 14469 Potsdam
Tel.: 0331/977-1675, -1474, -1496
Fax: 0331/977-1145, -1130
E-Mail: presse@uni-potsdam.de
Oneline-Ausgabe: www.uni-potsdam.de/portal


veröffentlicht im Schattenblick zum 8. März 2007