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MELDUNG/043: Berner Germanisten heben Humboldts Schriften-Schatz (idw)


Universität Bern - 30.05.2013

Berner Germanisten heben Humboldts Schriften-Schatz

Alexander von Humboldts Werk liegt bislang nur unvollständig vor. Insbesondere seine mehr als 700 Aufsätze sind noch weitgehend unerschlossen. Eine Berner Ausgabe schliesst diese Lücke und stellt die Humboldt-Forschung auf eine neue Grundlage.


Quelle: Alexander von Humboldt: 'Ueber den Manati des Orinoko', in: Archiv für Naturgeschichte 4:1 (1838), S. 1-10, Tafel I (ohne Seitenangabe, nach Seite 96)

Skizze der von Humboldt am südamerikanischen Orinoco-Fluss erforschten Seekuh.
Quelle: Alexander von Humboldt: «Ueber den Manati des Orinoko», in: Archiv für Naturgeschichte 4:1 (1838), S. 1-10, Tafel I (ohne Seitenangabe, nach Seite 96)

Der Naturforscher und Reiseschriftsteller Alexander von Humboldt (1769-1859) ist in unserer Kultur und Umwelt sehr präsent. Pflanzen, Tiere und Orte in zahlreichen Ländern tragen seinen Namen: der Humboldt-Pinguin, der Humboldtstrom oder das Humboldtgebirge. In vielen Städten gibt es eine Humboldtstrasse - so auch in Bern.

Die heute bekanntesten Werke von Humboldt sind Buchpublikationen, insbesondere damalige Bestseller wie die Ansichten der Natur (1808), die auf Französisch verfassten Berichte der Forschungsreisen nach Amerika (1799-1804) und nach Russland (1829) sowie die «Weltbeschreibung» im Kosmos (1845-62). «Diese Grosswerke sind Klassiker der Wissenschaftsgeschichte», sagt Prof. Oliver Lubrich vom Institut für Germanistik der Universität Bern. Sie haben Humboldts Ruf als bedeutendster Gelehrter seiner Zeit begründet. In neuen Ausgaben (2004, 2009) sind sie laut Oliver Lubrich wieder in zuverlässigen Fassungen erhältlich, die eine Humboldt-Renaissance ausgelöst haben.

Berner auf Schatzsuche

Die Berner Germanistinnen und Germanisten wollen nun einen weiteren Schatz heben, der nach wie vor in den Archiven und Rara-Abteilungen der Bibliotheken schlummert: Neben seinen Büchern schrieb Humboldt in rund 70 Jahren zahlreiche Aufsätze, Artikel und Essays, die in führenden Fachzeitschriften, in Tageszeitungen oder als Kapitel der Bücher von Kollegen veröffentlich wurden. Die Formate dieser sogenannten unselbständig (das heisst nicht in Buchform) erschienenen Schriften reichen von Auszügen aus Briefen, mit denen Humboldt das europäische Publikum über den Fortgang seiner Reisen auf dem Laufenden hielt, über autobiographische und literarische Prosa sowie Schilderungen wissenschaftlicher Experimente bis hin zu politischen Stellungnahmen in der Presse.

Die Schriften berichten von Humboldts Forschungen auf nahezu sämtlichen Wissensgebieten seiner Zeit. Sie behandeln Themen wie den «Kampf der electrischen Aale mit Pferden», die «Milch des Kuhbaums», «Mexicanische Alterthümer» und «Versuche den Chimborazo zu besteigen». Viele bahnbrechende Erkenntnisse, etwa zur elektrischen Stimulierung von Muskelfasern oder zum menschengemachten Klimawandel, formulierte Humboldt in Aufsatzform.

«Ein philologischer Glücksfall»

Selbst Fachleuten sind heute nur wenige dieser Texte bekannt, und niemand hat einen Überblick über das vielfältige Corpus, da nur wenige Artikel seit ihrem Erscheinen neu veröffentlicht wurden. Das Berner Projekt, das vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert wird, möchte dies ändern: In der Berner Ausgabe werden Alexander von Humboldts Aufsätze, Artikel und Essays erstmals systematisch versammelt und der Öffentlichkeit verfügbar gemacht. «Es handelt sich um einen philologischen Glücksfall», so Lubrich, «weil man bei keinem Autor von vergleichbarem Rang noch so eklatante Editionslücke schliessen und entsprechende Pionierarbeit leisten kann.»

Angesichts der disziplinären Vielfalt des Materials wird das Berner Team unterstützt von Spezialisten aus der Schweiz, Deutschland und den USA, die als Ko-Editoren einzelne Bände mitbetreuen. Gemeinsam erarbeiten sie eine neue Grundlage nicht nur für die Humboldt-Forschung, sondern auch für das Verständnis anderer Autoren, auf deren Werk Humboldt Einfluss hatte. So hat Goethe im Faust II Humboldts Theorien über die Entstehung der Erdoberfläche aufgegriffen. «Mit der Berner Ausgabe werden wir nachvollziehen können, welche Schriften Goethe kannte und in sein Drama einfliessen liess», erklärt Projektmitarbeiter Thomas Nehrlich. Ähnliches gelte für Achim von Arnim und Adelbert von Chamisso. «Mit unserer Edition wird man lesen können, was die Klassiker lasen.»

Humboldt und die Schweiz

Der Kosmopolit Humboldt, geboren in Berlin, lange wohnhaft in Paris und auf der ganzen Welt unterwegs, verfasste seine Schriften mühelos in verschiedenen Sprachen: neben Deutsch und Französisch anfangs auch auf Latein. Hinzu kommen zeitgenössische Übersetzungen ins Englische, Spanische, Russische, Italienische und Niederländische, aus denen sich eine breite internationale Rezeption ablesen lässt. Dennoch wird ausgerechnet Humboldt in Deutschland zunehmend als nationales Erbe wahrgenommen. «Es ist daher auch ein kulturpolitisches Signal, dass seine vernachlässigten Schriften nun in der Schweiz, in einem zweisprachigen Kanton und mithilfe der hervorragenden Berner Bibliotheksbestände ediert werden», sagt Lubrich. «Humboldt, der die Schweiz mehrfach bereiste, hätte diese Vorstellung sicher gefallen.»

Humboldts "Anderer Kosmos" - Die Berner Ausgabe

Alexander von Humboldt (1769-1859) war während sieben Jahrzehnten in fast allen Disziplinen seiner Zeit wissenschaftlich tätig: Archäologie, Botanik, Geologie, Kartographie, Mineralogie, Zoologie und viele mehr. Berühmt wurde er durch seine Forschungsreisen nach Amerika (1799-1804) und Asien (1829) sowie durch sein Grosswerk Kosmos (1845-1859) - das 'die ganze Welt in einem Buch' darstellte. Neben zahlreichen Reiseberichten und wissenschaftlichen Monographien veröffentlichte Humboldt über 700 Aufsätze, Artikel und Essays - einen bisher unerforschten 'Anderen Kosmos'.

Diese Werkabteilung wird nun erstmals vollständig herausgegeben in der Berner Ausgabe «Alexander von Humboldt: Sämtliche Schriften», die unter der Leitung von Prof. Oliver Lubrich am Institut für Germanistik der Universität Bern erarbeitet und vom Schweizerischen Nationalfonds gefördert wird. Projektmitarbeiter sind Sarah Bärtschi, Thomas Nehrlich und Michael Strobl.

Während den sechs Jahren Projektlaufzeit sollen sieben Textbände entstehen, die Humboldts Schriften nach Jahrzehnten geordnet versammeln. Zur Erschliessung und Kommentierung werden drei Ergänzungsbände erstellt: ein Übersetzungsband, der die nicht auf Deutsch erschienenen Texte in moderner Übertragung anbietet; ein Apparatband mit Registern und Einführungskommentaren zu jedem Text; und ein Forschungsband mit Längs- und Querschnittstudien, die das gesamte Material entlang übergreifender Fragestellungen erschliessen. Die Ausgabe soll zum 250. Geburtstag Alexander von Humboldts im Jahr 2019 vorliegen.

Weitere Informationen:
www.humboldt.unibe.ch.

Kontaktdaten zum Absender der Pressemitteilung unter:
http://idw-online.de/de/institution57

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Quelle:
Informationsdienst Wissenschaft e. V. - idw - Pressemitteilung
Universität Bern, lic. phil. Nathalie Matter, 30.05.2013
WWW: http://idw-online.de
E-Mail: service@idw-online.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 1. Juni 2013