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INTERNATIONAL/001: Ecuador - Kleine Weber halten Ikat-Kunsthandwerk am Leben (IPS)


IPS-Inter Press Service Deutschland gGmbH
IPS-Tagesdienst vom 7. Januar 2011

Ecuador: "Den Pinsel im Kopf" - Kleine Weber halten Ikat-Kunsthandwerk am Leben

Von Gonzalo Ortiz


Cuenca, Ecuador, 7. Januar (IPS) - Wer das das zweistöckige Lehmziegelhaus von José Jiménez betritt, dem springen zunächst die leuchtend gelb-blau-rote Nationalflagge und ein großes Schild mit der Aufschrift 'Ikat. Vorführungen und Verkauf' ins Auge. Kaum löst sich der Blick, wird dem Besucher sehr schnell klar, dass er sich in einer Werkstatt befindet. Überlall stapeln sich Bündel gefärbter Fäden, und Webstühle stehen bereit, um sie zu raffiniert gemusterten Stoffen zu verarbeiten.

Jiménez' Haus liegt an der Straße von Cuenca nach Gualaceo und Chordeleg, dem wichtigen Handwerkszentren im Süden Ecuadors. Hier entstehen traditionelle Ikat-Webwaren. Nur noch wenige Menschen in der Region sind in der Lage, Stoffe und Tücher nach alter Art zu produzieren. "Wir sind hier höchstens noch 15", schätzt Jiménez, der von seiner Frau Ana María Ulloa, seinen vier Kindern und einigen Hilfskräften unterstützt wird. Ulloa ist eine begnadete Stickerin, die schwarze Seidenschals in wahre Kunstwerke verwandelt.

Die Familie färbt Garne und Fasern selbst ein. Knoten sorgen dafür, dass manche Stellen von der Farbe unberührt bleiben. "Ich habe die Pinsel in meinem Kopf", erläutert Jiménez. "Denn das Muster hängt davon ab, wie die Fäden gefärbt und am Ende verwebt werden." Der Indigene sitzt auf dem Boden und strafft einen Faden. Den Webstuhl hat er mit einer Schlaufe um die Hüfte gebunden, wie dies schon seine Vorgänger vor mehreren 1.000 Jahren taten. Sollen die Stoffe breiter als 75 Zentimeter werden, setzt er sich an einen Webstuhl, der mit Fußpedalen betrieben wird.

"Zum Glück sind es mehr als 15 Ikat-Weber, die dieses besondere Kunsthandwerk beherrschen", meint die Anthropologin Gabriela Eljuri, Regionaldirektorin des Nationalen Instituts für kulturelles Erbe. Sie schätzt die Zahl der kundigen Männer und Frauen auf mehrere Dutzend. Wohl aber gehe die Produktion aufgrund der geringen Nachfrage nach den traditionellen 'Macanas' immer weiter zurück, räumt sie ein.


Erkennungszeichen der 'Cholas'

Die aus feiner Baumwolle gewebten Schals waren einst das Erkennungszeichen der 'Cholas', der Mestizinnen, die im 17. Jahrhundert aus spanisch-indigenen Verbindungen hervorgegangen sind, wie der Ethnologe und Vizerektor der Universität von Azuay, Joaquín Moreno, berichtet. Die Spanier legten großen Wert darauf, sich äußerlich von Nichtspaniern abzuheben. Sie sorgten dafür, dass sich die Cholas sowohl von indigenen als auch weißen Frauen unterschieden. Über Generationen hinweg waren das Tuch von Gaulaceo, Glockenrock und Strohhut wichtige Kleidungsstücke der Cholas von Cuenca.

Inzwischen jedoch habe die Globalisierung die Macanas verdrängt, erläutert Moreno. Ein entscheidender Faktor spielte dabei offenbar die Emigration. 200.000 Menschen haben ihren Heimatprovinzen Azuay und Cañar im Süden Ecuadors in den letzten Jahrzehnten den Rücken zugekehrt. Die meisten zog es in die USA.

Dass die Ikat-Technik überleben konnte, verdankt sie vor allem dem Interamerikanischen Zentrum für Kunst- und Volkskunsthandwerk (CIDAP), das mit Kursen, Projekten und Kampagnen die alte Webkunst am Leben erhält. Darüber sorgt das Zentrum dafür, dass die Stoffe zu trendigen Kleidungsstücken verarbeitet, landesweit Modenschauen durchgeführt und andere Marketingstrategien ergriffen werden.

"Jiménez und viele andere Weber in Gualaceo erhielten CIDAP-Stipendien und lernten, wie sie ihre wunderbare Arbeit in einer Vielzahl von Motiven zum Ausdruck bringen können", berichtet María Leonor Aguilar, eine Marketingexpertin des Instituts. So werden im Ikat-Stil Mäntel, Jacken, Hemden, Kleider, Taschen, Geldbörsen, Tischdecken und vieles mehr hergestellt.


Tischtücher für den Präsidenten

Jiménez selbst arbeitet derzeit an einer 30 Meter großen Tischdecke und einem Dutzend kleinerer Tücher. Sie sind für den ecuadorianischen Staatschef Rafael Correa bestimmt. "Ich habe dem Präsidenten erklärt, dass es mich traurig stimmt, bei Staatsempfangen immer nur kommerziell gefertigte Tischdecken zu sehen und dass es wichtig ist, dass ihn unsere Tradition mit Stolz erfüllt."

Daraufhin hat Correa die Tischdecken bei dem Weber bestellt, der sie am 21. Januar seinem Auftraggeber persönlich überbringen wird. Viele Touristen, die mit den Ikat-Stoffen erstmals in Berührung kommen, gehen davon aus, dass die Muster auf die Stoffe aufgedruckt sind. Der Präsident wird seine Besucher nun eines Besseren belehren. (Ende/IPS/kb//2011)


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veröffentlicht im Schattenblick zum 11. Januar 2011