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BERICHT/030: Arabische Nächte - europäische Sehnsucht nach ... (ROSA)


ROSA:34 - Die Zeitschrift für Geschlechterforschung - März 2007

Arabische Nächte - Europäische Sehnsucht nach Sinnlichkeit und Erotik

Von Anna Meili


Die europäischen Vorstellungen von Geschlechterbeziehungen und Sexualität im Orient werden heute vor allem durch die Kopftuchdebatte und Medienberichte über die Anwendung der Scharia geformt. Der Islam gilt in Europa weitgehend als körper- und lustfeindliche Religion. Die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht hingegen werden noch heute mit exotischer Erotik verbunden.

Scheherazade, die Erzählerin aus Tausendundeiner Nacht, rettet sich und vielen anderen Frauen das Leben, indem sie dem erbarmungslosen König Schahriyar jede Nacht erotische und abenteuerliche Geschichten erzählt, von denen er gar nicht genug hören kann. Nachdem er von seiner ersten Frau betrogen worden war, beschloss der rachsüchtige König jeden Tag eine Jungfrau zu heiraten und sie am nächsten Morgen hinrichten zu lassen. Der klugen und gebildeten Scheherazade aber gelingt es, ihn mit ihren Geschichten so zu fesseln, dass er seinen Vorsatz vergisst. Schliesslich kann sie ihn gar von seiner dunklen Obsession heilen.

Schon in der Rahmengeschichte finden sich Elemente wie Sex, Gewalt und Zügellosigkeit wieder, die das "westliche" Bild von den Menschen im Orient geprägt haben. Seit Jean Antoine Galland 1704 die Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht erstmals einem europäischen Publikum zugänglich gemacht hat, stellen die Geschichten einen integralen Teil der europäischen Kultur- und Geistesgeschichte dar. In den letzten 300 Jahren wurden die Nächte unzählige Male anhand verschiedener Vorlagen übersetzt und nachgedichtet und dienten so auch als literarische Inspiration. Ein eigentliches arabisches oder persisches Urmanuskript existiert nicht, ebenso wenig einE AutorIn. Bei Tausendundeiner Nacht handelt es sich vielmehr um eine Sammlung von Stoffen, die sich laufend verändert.


Keine Kinderlektüre

Heute werden die Geschichten aus Tausendundeiner Nacht vor allem als Kinderlektüre betrachtet. Dies ist mitunter auch durch Disneyverfilmungen wie "Aladin und die Wunderlampe" bedingt. Darin werden zwar auch Vorurteile über den Orient perpetuiert, doch sind diese weniger erotischer Natur. So singt beispielsweise Aladin: "Oh I come from a land, from a faraway place, where the caravan camels roam; Where they cut off your ear if they don't like your face; It's barbaric, but hey it's home."(1) Was die Sexualität betrifft, so stellen die Textvorlagen für solche Verfilmungen, eine zensierte Version der Nächte dar. Galland glättete seine Übersetzung, indem er explizit anzügliche oder pornographische Stellen seiner Vorlage ausliess oder verharmloste. Erst im 19. Jahrhundert wurde die angebliche exotische Wildheit und Erotik der Orientalinnen in neuen Übersetzungen besonders betont. Die glutäugige Schönheit, die sich im Harem auf den Kissen räkelt, wurde zur Männerfantasie schlechthin. Vor allem der Engländer Richard Burton tat sich besonders damit hervor, in seiner zehnbändigen Übersetzung (1885-86) die pornographischen Aspekte der Nächte hervorzuheben. Der weit gereiste Brite liess nicht nur kein einziges anzügliches Detail der erotischen Geschichten aus, er versah seine Version zudem mit Fussnoten, in denen er die angeblichen sexuellen Vorlieben der Orientalinnen offenherzig erläuterte. Burton behauptete, dass die Frauen im Orient aufgrund des Klimas heissblütiger und leidenschaftlicher seien als seine kühlen und prüden Landsgenossinnen. Für ihn war der Orient der Ort ungezügelter weiblicher Sexualität schlechthin. Seinen Publikationen wurde im viktorianischen England mit einem Sturm der Entrüstung begegnet, und er wurde der Verbreitung gesellschaftszersetzender Schriften beschuldigt. Die Tatsache, dass seine Übersetzung reissenden Absatz fand, zeigt aber, dass Burton einen Nerv getroffen hatte. Im Orient, einer ihnen scheinbar völlig entgegengesetzten, fremden Welt, suchte das europäische Bürgertum Wildheit und Exotik. Mit der sozialen Wirklichkeit, wie sie die Menschen im Mittleren Osten selbst empfanden, hatten diese Geschichten wenig zu tun.


Zwischen Vorurteil und Wunschbild

Das Bild von der orientalischen Frau als lasziver Haremsdame und dem orientalischen Mann als grausamem Despoten verankerte sich tief im Bewusstsein der EuropäerInnen. Ob man dies nun als reinen imperialistischen Orientalismus nach Edward Said und daher als "a Western style of dominating, restructuring and having authority over the other"(2) ansieht oder auch als eine positive Quelle der Inspiration für EuropäerInnen, sei dahingestellt. Sicher ist, dass der Orient, den wir aus Tausendundeiner Nacht kennen, in unseren Köpfen zu finden ist und nicht auf einer geographischen Landkarte. Die Nächte als Quelle für eine Geschichte der Geschlechterbeziehungen im Nahen und Mittleren Osten gebrauchen zu wollen, ist darum eine äusserst zweifelhafte Angelegenheit.

Schon im 18. und 19. Jahrhundert wurden die Gesellschaften des Orients als rückständig und barbarisch dargestellt. Paradoxerweise dienten gerade feministische Argumente den Kolonialisten und Imperialisten für die Rechtfertigung der Eroberung weiter Teile der islamischen Welt. Vor allem die Polygamie und das Haremswesen dienten den europäischen Eroberern als Begründung für die Notwendigkeit einer "Reformierung" dieser Gesellschaften. Gleichzeitig bedienten sie mit orientalistischer Literatur und Malerei ihre tiefsten Sehnsüchte nach dem exotischen Anderen. In Europa aber hatten die Frauen ebenso wenige Freiheiten wie viele orientalische Frauen.

In den letzten Jahren und Jahrzehnten hat sich das "westliche" Bild vom Orient stark verändert. Anstatt der Dichotomie Europa/Orient findet sich heute vor allem das Begriffspaar Westen/Islamische Welt. Während der Begriff Orient noch halbwegs positiv besetzt war und ist, wird die Islamische Welt heute vor allem mit sozialen Missständen und Konflikten in Verbindung gebracht.

Im 19. Jahrhundert wurde der Orient als Ort der Dekadenz, der Zügellosigkeit und Promiskuität wahrgenommen, wobei die europäischen Gesellschaften sich selbst insgeheim als prüde betrachteten. Im 21. Jahrhundert hat sich dieses Verhältnis der Fremd- und Selbstwahrnehmung gewandelt. Der Westen gilt in der orientalischen Welt vielfach als Sündenpfuhl, während in Europa der Islam oft als repressive und lustfeindliche Religion wahrgenommen wird.

Diese Bilder und gegenseitigen Wahrnehmungen mögen auch reale Hintergründe haben, doch oft sind es Fiktionen, eben Geschichten, die unsere oftmals widersprüchlichen Bilder von anderen Menschen prägen: Geschichten wie die Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht.


Anna Meili studiert Allgemeine Geschichte und Arabisch an der Universität Zürich. Zurzeit weilt sie im Land von Tausendundeiner Nacht und studiert an der American University in Cairo.
a.meili@bluewin.ch

Anmerkungen:

(1) "Ich komme aus einem fernen Land, wo Karawanen umherziehen, wo sie deine Ohren abschneiden, wenn sie dein Gesicht nicht mögen; ja, es ist barbarisch, aber es ist meine Heimat." (Übers. der Redaktion) Zitiert nach Sardar, Ziauddin, Orientalism, S. 103. Nach Protesten von arabischstämmigen AmerikanerInnen wurde der letzte Satz für die Videoversion des Films abgeändert.

(2) "eine westliche Form der Unterwerfung, Umstrukturierung und Beherrschung des Anderen" (Übers. der Redaktion) Said, Edward W. Orientalism, S. 3.


Literatur:

Kennedy, Dane. "Captain Burton's Oriental Muck Heap": The Book of the Thousand Nights and the Uses of Orientalism. The Journal of British Studies. Vol. 39. Nr. 3. (Jul., 2000), S. 317-339.
Pflitsch, Andreas. Mythos Orient. Eine Entdeckungsreise. Freiburg im Breisgau 2003.
Said, Edward W. Orientalism. New York 1979.
Sardar, Ziauddin. Orientalism. Buckingham, Philadelphia 1999.

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Quelle:
ROSA:34 - Zeitschrift für Geschlechterforschung
Ausgabe März 2007, S. 22-23
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. April 2008