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MARVEL-BROKER/026: Spider-Man Weihnachtsmagazin


Tom De Falco, Takeshi Miyazawa


Spider-Man Weihnachtsmagazin

"Jonahs Weihnachtsgeschichte"



Alle Jahre wieder kommt die Weihnachtszeit auf uns zu, und alle Jahre wieder werden wir mit der Weihnachtsgeschichte des englischen Schriftstellers Charles Dickens aus dem Jahre 1843 konfrontiert, die uns in irgendeiner leicht veränderten Form im Film oder auch im Comic heimsucht. Eine der letzten Filmversionen aus dem Jahre 1988 mit dem US-amerikanischen Schauspieler Bill Murray als moderne Verkörperung von Dickens' Hauptperson Ebenezer Scrooge wurde am 20.12.2005 im Deutschen Fernsehen unter den Titel "Die Geister, die ich rief..." ausgestrahlt. Selbst die von dem US-amerikanischen Regisseur Jim Henson erschaffenen Puppen mit dem Kunstnamen "Muppets" (eine Mischung aus den englischen Wörtern "Marionetts" und "Puppets"), die in erster Linie in den Fernsehserien "Sesamstraße" und "Die Muppet Show" auftreten, haben 1992 mit dem englischen Schauspieler Michael Caine "The Muppet Christmas Carol" - was zwar wörtlich "Ein Weihnachtslied" heißt, aber im deutschen als Weihnachtsgeschichte bekannt ist - das weihnachtliche Fest dargestellt.

Die von Walt Disney geschaffene Zeichentrick-Figur Mickey Maus war einer der Vorreiter, die 1983 im Zeichentrickfilm "Mickey's Christmas Carol" auftraten. Und in Heftform war es Dagobert Duck mit seinem englischen Originalnamen Scrooge McDuck, dessen Name nicht nur aus Dickens Weihnachtsgeschichte stammt, sondern der in dieser auch den Ebenezer Scrooge verkörperte. Und nun, im Jahre 2005, kommt von Panini Comic "Jonahs Weihnachtsgeschichte" aus dem amerikanischen "Holiday Special 2004" von Marvel auf den deutschen Markt, und wer könnte da den geizigen Scrooge besser verkörpern als der knauserige Zeitungsverleger vom "Daily Bugle", Jonah.J.Jameson, an den Peter Parker alias Spider-Man seine Fotos vom Netzschwinger verkauft. Doch wenden wir uns zunächst den Ursprüngen zu. Was wissen wir über Charles Dickens und seine Weihnachtsgeschichte?

Der Schriftsteller wurde am 7. Februar 1812 in Landport, einem Vorort von Portsmouth, geboren. Als Charles zehn Jahre alt war, wurde sein Vater, ein Marinezahlmeister, nach London versetzt, geriet dort in Geldnot, und weil er seine große Familie nicht mehr ernähren konnte, wurde er 1823 ins Schuldgefängnis geworfen. Charles mußte sich dann bereits mit zwölf Jahren als Hilfsarbeiter in einer Fabrik verdingen und lernte somit sehr früh die soziale Härte seiner Zeit kennen. Weil er in jungen Jahren Geld verdienen und sich abplacken mußte, versäumte er den regelmäßigen Schulbesuch. Mit fünfzehn Jahren erhielt er eine Anstellung als Anwaltsgehilfe, arbeitete sich zum Parlamentsstenographen hoch und wurde dann Journalist beim "Morning Chronicle", für den er Reportagen und Feuilletonbeiträge schrieb. Seine ersten Romane entstanden als Fortsetzungsgeschichten in Zeitungen, aber literarischer Erfolg war nicht Dickens' eigentliche Triebfeder. Vielmehr wollte er das Gewissen seiner Mitbürger wachrütteln, indem er die Verhältnisse seiner Zeit, besonders in den sogenannten niederen Kreisen der Bevölkerung, schilderte. Dabei machte er zum Teil in tendenziöser Art auf das soziale Elend aufmerksam, mit dem Ziel, einen Weg für soziale Reformen zu ebnen.

Dickens, den man durchaus als den Begründer des sozialen Romans in England bezeichnen kann, hatte schon seit geraumer Zeit die Weihnachtsgeschichte in Planung, als er schließlich 1843 in Geldnot geriet. Da sein Herausgeber nicht die Finanzmittel besaß, das Buch zu drucken, bezahlte Dickens schließlich den Druck selbst. Der Roman, der stark sozialkritische Töne enthält und die Mißstände im England des 19. Jahrhunderts anprangert, wurde wegen Dickens lebendigem, äußerst realistischen und dennoch humorvollen Schreibstil binnen kurzer Zeit zum Verkaufsschlager. Da es zu jener Zeit in England keinen Urheberschutz gab, konnte das Buch bald ungehindert in Raubkopien gekauft werden. Dickens zog zwar gegen die Fälscher vor Gericht, doch dieser Umstand zehrte seine gesamten Einkünfte auf, die er mit dem Buch eingenommen hatte.

Die Weihnachtsgeschichte handelt von dem Warenhausbesitzer Ebenezer Scrooge, einem alten mürrischen Geizhals, der in der einen Nacht vor Weihnachten zunächst Besuch von seinem verstorbenen Teilhaber Jacob Marley und dann von drei weiteren Geistern erhält, die ihm schließlich dazu verhelfen, sein Leben zu ändern.

Die Geschichte, die in fünf Kapitel unterteilt ist, beginnt mit der profanen Feststellung "Marley ist tot". Jacob Marley, der Geschäftspartner und Weggefährte, war der einzige Freund des Protagonisten Ebenezer Scrooge und verstarb vor sieben Jahren am Weihnachtsabend. Ebenezer Scrooge, ein unsympathischer, geiziger und habgieriger, in die Jahre gekommener Mann, der nicht nur voller Kälte ist, sondern diese auch noch überall verbreitet, ist der alleinige Inhaber des Warenhauses "Scrooge and Marley" und unterhält einen Angestellten, Bob Cratchit. Wie in jedem Jahr, besucht auch diesmal Fred seinen Onkel Scrooge, wünscht ihm ein "Merry Christmas" und lädt ihn zum Weihnachtsessen ein. Sein Onkel lehnt wie immer sowohl die Einladung als auch die guten Wünsche und letztendlich Weihnachten an sich wütend ab und entgegnet seinem Neffen mit der für Scrooge typischen Redewendung: "Humbug!".

Am selben Abend erhält Scrooge Besuch zweier Herren, die um Spenden für die arme Bevölkerung bitten. Doch der verbiesterte Geizkragen läßt sich nicht erweichen. Scheinheilig fragt er die beiden Bittsteller, ob es denn keine Gefängnisse und Arbeitshäuser gebe und ob nicht schon genug Gesetze zur Unterstützung der Armen existierten, wohlwissend, daß es jene Einrichtungen gibt und die Armen am Hungertuch nagen. Scrooge ist jedenfalls der Meinung, daß er mit der Entrichtung von Steuern seine Pflicht mehr als erfüllt habe.

In der Nacht erscheint ihm der Geist Marleys, an dem eine lange Kette hängt, an der Utensilien des Geschäftslebens, wie Geldkassetten und Portemonnaies, befestigt sind. Marleys Geist erklärt Scrooge, daß er sich im Laufe seines Lebens diese Kette selbst geschmiedet habe, da er nie etwas mit den Menschen zu tun haben wollte, sondern sich nur voller Gier um Geld gekümmert habe. Nun, im Tode, müsse er sich als Geist unter die Menschen begeben. Anschließend weist er Scrooge darauf hin, daß dieser ebenfalls eine solche Kette habe, die allerdings um einiges länger sei als die seinige, und verläßt den innerlich aufgewühlten Scrooge mit dem Hinweis, daß ihn noch drei weitere Geister aufsuchen werden. Es sind dies die Geister der Weihnachtsvergangenheit, -gegenwart und -zukunft. Diese konfrontieren Scrooge mit sehr persönlichen Erlebnissen aus drei verschiedenen Zeitabschnitten, die ihn zutiefst erschüttern und zu einer grundlegenden Veränderung seiner Persönlichkeit führen.

Die Spider-Man Weihnachtsgeschichte, die sich in einer modernen Version dicht an ihrem Original orientiert, ist gelungen in das Marvel-Universum übertragen worden. Die Weihnachtsgeister in Form von Captain America als Geist der Vergangenheit, das Ding als Geist der Gegenwart und Spider-Man himself als Geist der Zukunft halten Jonah "Scrooge" Jameson auf Trab und versetzen ihm so manchen unangenehmen Schock. Doch der alte Choleriker ist hart im Nehmen, und so hat er am Ende nur für einen kurzen, aber entscheidenden Moment eine "positive" Sinneswandlung, indem er die Kosten der Betriebsweihnachtsfeier übernimmt, aber darüber hinaus ist bei ihm nichts wirklich bewegt worden - was wiederum für die Fans nicht wirklich überraschend kommt.

Aber eine Überraschung hält das vorliegende Heft für den geneigten Leser als kleines Extra-Weihnachtsgeschenk der besonderen Art doch noch bereit: Captain America kämpft mit den Rächern gegen eine riesige Energieblase, die die Welt bedroht. Richtig, man höre und staune! Es sind die Original-Rächer, die von einem gewissen Brian M. Bendis aus Altersgründen aufgelöst wurden, nur weil sich dieser mit ihrem Ende profilieren wollte. Da kann man sich als Leser wirklich noch freuen, wenn eine Geschichte, die in den USA im Jahre 2004 veröffentlicht wurde, nach einem Jahr auf dem deutschen Markt erscheint und noch einmal die alten Helden der Rächer zum Leben erweckt werden. Also eine "wahre" Weihnachtsgeschichte.

Euer Marvel-Broker


Tom De Falco (Autor)
Takeshi Miyazawa (Zeichner)
Spider-Man Weihnachtsmagazin
Panini, Stuttgart, Dezember 2005
34 Seiten, farbig, Softcover-Album
Großformat, Euro 2,95