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MARVEL-BROKER/016: Batman & Superman - Identity Crisis 5 von 7


Brad Meltzer, Rags Morales


Batman & Superman

Identity Crisis 5 von 7



Anpassung und Opfer - zwei Seiten einer Medaille

Nach den ersten vier Heften der siebenteiligen Miniserie "Identity Crisis" tappen die zutiefst erschütterten Helden der Justice League of America (JLA) immer noch im Dunkeln: Wer hat den grausigen Mord an Sue Dibny, der Frau von Elastoman, begangen? Die Recken sammeln ihre Kräfte und bündeln den Einsatz aller mit der JLA assoziierten Teams - Titans, Outsiders, Reservisten und JSA - auf die eine Aufgabe zu, dem Mörder auf die Spur zu kommen und die Identität von demjenigen aufzudecken, der sich Zutritt in eine der am besten geschützten Wohnungen Amerikas verschafft hatte.

Die sogenannten Verhöre, die sämtliche Teams an den mutmaßlichen Verdächtigen durchführen, werden, wie auch schon in "SECRET WAR" (siehe MARVEL-BROKER/015), nach dem neuen amerikanischen Selbstverständnis unter rücksichtsloser Gewaltanwendung praktiziert. Die Verhöropfer sind natürlich schon deshalb selbst "schuld" an ihrem Ungemach, weil sie mit dem Stigma "Superschurke" versehen von vornherein außerhalb der Gesellschaft stehen und somit automatisch nie Opfer sein können, sondern immer nur Täter.

Der Wandel in der amerikanischen Politik durch den US-Präsidenten George W. Bush mit seinem weltweit ausgerufenen Kreuzzug gegen das Böse hat zu grundlegenden Veränderungen in der amerikanischen Gesellschaft geführt und weder vor dem Marvel Universum noch vor dem DC Universum haltgemacht. Die Unschuldsvermutung im Rechtswesen und die moralischen Schranken im sozialen Kontext, jemanden nicht vorzuverurteilen, sind längst gefallen. Allem, was dem angepaßten, guten Bürger nicht geheuer ist und nur ein Jota von dessen spießigem Selbstverständnis abweicht, wird mit Aggression und Feindseligkeit begegnet. Mittlerweile gilt es als völlig normal, Gewalt und Repressionen gegen andere anzuwenden, die sich dieser polarisierten Welt von gut und böse nicht hundertprozentig unterwerfen - wobei der Maßstab, was denn diese hundert Prozent ausmache, allein in den Händen der selbsternannten Vertreter der vorherrschenden Ordnung liegt. Aber selbst der bestangepaßte Bürger ist nicht davor geschützt, ins Visier der Heimatschutzbehörde und anderer Sicherheitskräfte zu geraten und als mutmaßlicher Täter verhaftet und dauerhaft in Gewahrsam genommen zu werden.

In dieser Miniserie kommt der beschriebene Wertewandel deutlich zum Tragen. Moralisch fragwürdige Handlungsweisen wie die "magische Lobotomie" (S. 2) an dem "Schurken" Dr. Light wurden bislang bei DC Comic noch oberflächlich in der Form reflektiert, daß ihre Ausführung innerhalb der Justice League diskutiert wurde und letztendlich sogar zur Spaltung der Liga führte, aber es änderte nichts an dem Resultat: Als Green Lantern und Flash die Frage stellten, warum einige spezielle Altmitglieder der Gerechtigskeitsliga nach dem Mord an Sue ausgerechnet den einfältigen Dr. Light verdächtigten, hatten sie von Green Arrow und seinen Kollegen die schockierende Antwort erhalten, daß Dr. Light vor Jahren Sue Dibny brutal mißhandelt und mißbraucht habe und dies doch wohl die magische Lobotomie als Bestrafung rechtfertige, um eine Wiederholung einer solchen Tat auszuschließen. Die JLA ließ also Zatanna eine Persönlichkeitsverstümmelung vornehmen, die Dr. Light in eine "harmlose Witzfigur" (S. 2) verwandelte.

Um ihre Geheimnisse zu schützen, hatte die Liga zuvor bereits die Gedanken von Schurken manipuliert, aber sich nie so weit vorgewagt wie in diesem Präzedenzfall. Die Bestrafung Dr. Lights im Sinne des alttestamentarischen Gesetzes "Auge um Auge, Zahn um Zahn" war allerdings ebenfalls eine Mißhandlung und ein Mißbrauch und ist nach den heute im westlichen Kulturkreis verbreiteten christlichen Moralwerten nicht vertretbar.

Doch der mutmaßliche Verdächtige Dr. Light war nicht der Mörder, wie in einem der früheren Hefte zu entnehmen ist, denn der Täter schlug erneut zu: Im letzten Moment konnte Atom seine Ex-Frau Jean Loring retten, doch zum Schrecken der Helden war es dem Unbekannten abermals gelungen, in eine extrem gut geschützte Wohnung einzudringen. Offensichtlich kannte der Killer die gutgehüteten Geheimnisse der Helden, was auch dadurch bestätigt wurde, daß er Supermans Dauerlebensgefährtin Lois Lane eine Nachricht zukommen ließ, daß sie das nächste Opfer sein werde.

Während die Helden in der früheren Handlung sich weiterhin auf Spurensuche begaben, hatte sich bei der Autopsie der Leiche Sues herausgestellt, daß das Opfer nicht an Verbrennungen starb, wie der erste Anschein vermuten ließ. Offen bleibt also die wahre Todesursache, die auch in dem aktuellen Heft nicht aufgeklärt wird. Dafür wird dem Leser ein Mörder präsentiert, der weder das Wissen noch die Fähigkeit besitzt, der wahre Täter sein zu können.

Das große Sterben dauert an, aber diesmal erwischt es nicht nur die beiden Menschen im dramatischem Finale dieser Ausgabe. Vielmehr trifft es auch einen bekannten Helden aus der guten alten Zeit, als das Hauptquartier der Justice League als Satellit um die Erde kreiste.

Bei einem Verhör (S. 9) wagt es doch tatsächlich ein Verdächtiger, sich zu widersetzen, und im Zuge dessen kommt Firestorm, auch als "The Nuclear Man" bekannt, ums Leben. Der feuerköpfige Recke besaß ja die Fähigkeit der Molekularumwandlung, und als sein implantierter Nuklearreaktor von dem Verdächtigen mit dem Schwert eines Teamkollegen Firestorms irreparabel beschädigt wird und zu explodieren droht, zögert der Held nicht, sich für seine Mitstreiter zu opfern und fliegt rasend schnell davon.

Dem Leser bleibt ein bitterer Beigeschmack. Er kommt um den Eindruck nicht herum, daß der alte Held offenbar nur deshalb sterben mußte, weil die Produzenten dieses Comics seine Stelle durch einen jüngeren, den Teenager Jason Rusch, besetzen wollten. Dieser hatte schon in einer neuen amerikanischen Firestorm-Serie die Kräfte des alten Firestorm übernommen.

Die Ironie an der Geschichte: Firestorm hatte immer versucht, alles richtig zu machen, sich anzupassen und der JLA, in deren aktuellen Heftreihe er wieder auftrat, zu dienen. Ronnie Raymond, das Alter Ego des Nuklear Mans, war ein "ewiger Student" (S. 35), der es übrigens in zwei Serien auf gut 150 Ausgaben gebracht hat. Vielleicht hatte Ronnie ausgedient, schließlich wurde er als Firestorm in der JLA von Green Arrow immer "runtergemacht" (S. 12). Vielleicht paßte er als Dauerstudent nicht mehr in die heutige Zeit der universitäre Eliteförderung und Überholspurstudiengänge. Vielleicht hat der Ruf von Studenten im allgemeinen nach den Anschlägen vom 11.9.2001 auch schon zu sehr gelitten. Oder war Ronnie einfach nur zu alt? Eines ist gewiß: Ihn hat seine Anpassungsleistung nicht vor dem Untergang bewahrt jemand erbringen kann, im eigenen Opfer, frei nach J. F. Kennedy: "Frag nicht, was der Staat für Dich tun kann, sondern was kannst du für den Staat tun?"

Hier wird Ronnie Raymond, der Mensch hinter dem Helden Firestorm, geopfert. Übrigens wird sein Tod in der Ausgabe Firestorm 6 ausführlicher beleuchtet als in Identity Crisis 5. Firestorm ist tot, es lebe Firestorm.

Euer Marvel-Broker


Batman & Superman: Identity Crisis 5 von 7
Brad Meltzer, Rags Morales
Panini, Stuttgart, Juni 2005
36 Seiten, farbig, Heftformat, 3,50 Euro