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ANTIQUARIAT/002: Der Prinz der Nacht (1) "Der Jäger" von Yves Swolfs


Yves Swolfs


Der Prinz der Nacht (1)

"Der Jäger"

Wenn die Menschen die Werte und Ideale, die ihre Kultur gebaren und gedeihen ließen, leugnen oder verfälschen, wenn die großen Umwälzungen, die großen Stürme und die Seuchen kommen ...

Dann erhebt Er sich aus dem Schatten, um am Zerstörungswerk teilzuhaben, um sich seinen Anteil am Blut zu holen, um die verängstigten Seelen zu verderben. Denn dies ist die Stunde des Prinzen der Nacht! (Prolog)

Die dunkle Jahreszeit steht unmittelbar bevor. Was kann es an einem stürmischen, verregneten oder sonstwie ungemütlichen Herbst- oder Winterabend schöneres geben, als sich mit einem Heißgetränk, Kissen und Decke versehen auf's Sofa zurückzuziehen und zu schmökern? Wem es dabei gerne unheimlich zugehen kann, dem sei die im Splitter Verlag erschienene Serie "Der Prinz der Nacht" aus der Feder des bekannten belgischen Zeichners Yves Swolfs empfohlen. Swolfs, den viele Leser wohl vor allem von seiner Western-Serie "Durango" her kennen, ist mit diesem Band ein packender Einstieg in den seinerzeit für ihn ganz neuen Bereich des Vampir-Genres gelungen. Obwohl ein so häufig behandeltes klassisches Thema wie dieses die Gefahr von Wiederholung und Abnutzung birgt, ist bei seiner Neubearbeitung nichts davon zu bemerken. Schalten wir also die Leselampe an und werfen einen Blick in den ersten, 1995 erschienenen Band dieser bemerkenswerten Reihe:

Es ist eine kalte, winterliche Vollmondnacht. Aus einer Moorlandschaft mit unbeweglichen, schon vor langer Zeit abgstorbenen Baumskeletten nähert sich eine düstere, in einen weiten Umhang gehüllte Gestalt dem Schloß, das sich einsam aus dieser unwirtlichen Landschaft erhebt. Die Augen des Wesens glühen dämonisch; obwohl von menschlicher Gestalt, ist es kein humanoides Wesen, das hier um Einlaß begehrt.

Im Schloß selbst sind zwar Licht, Wärme und Menschen zu finden, doch keine Heiterkeit. Über der Abendgesellschaft liegt eine merkwürdig gedrückte, freudlose Stimmung. Der Unheimliche, dem man jetzt nur noch an einem entfernten Glitzern in den Augen seine Fremdartigkeit ansieht, gibt sich als fahrender Sänger und Erzähler aus. Jehan von Rougemont, der Schloßherr, hält nichts von derartigen Zerstreuungen, seine Gattin hingegen sucht sie um so mehr. Zwischen den Eheleuten stehen die Dinge nicht gut, wie man an den Worten erkennen kann, die sie sich gegenseitig voller Bitterkeit hinwerfen.

Gleichgültig gestattet Jehan seiner Gattin, sich mit dem Fremden und einer weiteren Dame zurückzuziehen, um seinen Erzählungen und Liedern zu lauschen. Ein älterer Mönch, offensichtlich ein Vertrauter Jehans, ist ob dieser Entscheidung sehr beunruhigt. Er weiß die Zeichen zu deuten und erkennt die Bedrohung, die von dem Fremden ausgeht. Jehan schickt einen Wachtposten zur Kemenate der beiden Damen, doch es ist bereits zu spät. Zu Tode erschrocken beobachtet der Mann, wie der Vampir das Blut der Schloßherrin trinkt. Der Dämon entflieht, doch sein Werk ist bereits vollbracht - die Schloßherrin weilt nicht mehr unter den Lebenden.

Aber daran, daß sie wirklich tot ist, hat zumindest der Mönch seine Zweifel. Er beschwört Jehan, an der Verstorbenen den Ritus durchzuführen, der den Dämon austreibt. Doch dieser will nichts davon wissen. Er trauert um seine Frau und bereut, daß er so schlecht zu ihr war. Erst nach einigen Tagen, als die Dorfbewohner sich hilfesuchend an ihn wenden, weil immer mehr Männer, Frauen und Kinder einfach verschwinden, ist er bereit, den Mönch des Nachts zur Grabstätte der jungen Frau zu begleiten. Hier wird er selber Zeuge des Unfaßlichen, als seine Frau - ein Vampir - von einem ihrer nächtlichen Streifzüge zurückkehrt. Schweren Herzens ist er nun auch bereit, den Ritus durchzuführen.

Dem Vampir, der dieses Unheil über sie brachte, schwört er ewige Rache und spricht einen schicksalhaften Schwur. Danach bricht er auf, den Dämon zu vernichten ...

Die nächste Szene spielt 1933 in Paris. Ein junger Mann (der Jehan wie aus dem Gesicht geschnitten ist) hat eine Sitzung bei seinem Psychiater. Alpträume quälen ihn, irgendein finsteres Geheimnis scheint über seiner Familie zu liegen, das ihm niemand offenbaren will. Der Vater verweist den Sohn mit seinen drängenden Fragen schließlich an den Großvater. Dieser scheint mehr zu wissen. Bei Nacht und Nebel graben die beiden im Garten eine Metallkassette aus, die er seinem Enkel am Ende übergibt.

Danach befinden wir uns wieder im Mittelalter. Jehan ist im Laufe der vergangenen Jahre zu einem unerbittlichen Jäger geworden, der auf seiner rastlosen Suche nach Vergeltung bereits zahllose Vampirwesen vernichtet hat. Immer näher kommt er seinem eigentlichen Ziel, dem dämonischen Prinzen der Nacht, der sich in seiner menschlichen Gestalt Kergan, der Minnesänger, nennt.

Schließlich nähert er sich der Wohnstätte des Vampirs, einem gewaltigen, finsteren Schloß auf einer hohen Felsenklippe. Am Fuß der Felsen liegt hingekauert ein Dorf, das keine Kirche hat. Seine Bewohner haben sich dem Dämon angstvoll unterworfen. Jehan sucht nach einer Unterkunft, wird jedoch überall abgewiesen. Dafür sorgte der Prinz der Nacht, der das Kommen des Jägers schon lange spürte. Sein Plan sieht vor, daß Jehan sich in dem einzigen Haus einquartiert, von dem man ihn nicht abweisen wird - eine etwas abseits vom Dorf gelegene Hütte. Hier wohnt die junge Enora, die über besonderes Wissen verfügt. Um sich vor den Anfeindungen derjenigen zu schützen, denen ihr Wissen Angst einjagt, empfängt sie des öfteren den "Besuch" männlicher Dorfbewohner.

Nach einer gemeinsam verbrachten Nacht gibt es für Jehan und Enora ein böses Erwachen, denn es nähern sich bewaffnete Schergen, um Enora, die man der Hexerei bezichtigt, zu verhaften - ein weiteres Detail des dämonischen Planes. Dem erfahrenen Kämpfer Jehan gelingt es, die Häscher zu besiegen, doch er trägt schwere Verletzungen davon. Er weiß, daß ihnen nur eine kurze Frist bleibt, bis andere kommen werden, um den Auftrag auszuführen.

So geschieht es. Den Männern, die bei Einbruch der Dunkelheit kommen, gelingt es diesmal mit Leichtigkeit, den verletzen und geschwächten Jehan zu überwältigen. Vor ihm steht nun der Prinz der Nacht, der den Triumph auskosten will, die Seele seines hartnäckigsten Jägers zu nehmen und ihn zu seinesgleichen zu machen. Doch obwohl er sich nur noch vor ihm auf der Erde wälzen kann, entkommt Jehan dem Vampir doch noch - durch ein Messer, das er sich selbst in die Brust stößt ...

... und in einer späteren Zeit, an einem anderen Ort, wacht des Nachts jemand, der Jehan wie aus dem Gesicht geschnitten ist, aus einem seiner schrecklichen Alpträume auf. Verwirrt sitzt er in seinem Bett und meint noch, die eisige Schneide des Dolches in seiner Brust zu spüren. Seinen ganzen Mut zusammennehmend beschließt er, die unheimliche Kassette seines Großvaters endlich zu öffnen.

Hier endet die erste Episode.

Yves Swolfs, der als Vertreter der sogenannten "nouvelle ligne claire" gilt, die in den 80er Jahren aus Hergés "ligne claire" entwickelt wurde, legt bei seinen gelungenen Zeichnungen, die ausgesprochen lebendig und realistisch wirken, großen Wert auf Detailfreudigkeit und Authentizität. Auf den Bildern gibt es viel zu sehen, Bild- und Seitenaufbau sind gekonnt arrangiert, kurz - es ist eine Freude, das Album zu betrachten, auch mehrmals, wobei man immer wieder Neues entdeckt. Zeichnungen und harmonisch angelegte Story ergänzen sich zu einem gelungenen Ganzen, so daß man sagen kann, daß es Yves Swolfs gelungen ist, aus dem klassischen Vampir-Thema ein Optimum herauszuholen. Doch auch "Durango"-Fans können sich freuen: Charakter und Aussehen des beliebten Western-Helden sind in der Person des "Jehan" weitgehend erhalten geblieben. Auch er ist ein wortkarger Einzelgänger, der kompromißlos seinen Weg geht und nicht zögert, Gewalt anzuwenden, wenn es am Ende einer guten Sache dient.

Einer besonderen Erwähnung wert ist auch die wunderschön ausgeführte Kolorierung von Sophie Swolfs, die aufs beste mit den Zeichnungen harmoniert. Besonders die stimmungsvollen, winterlichen Farbtöne der Landschaften sind ihr ausgesprochen gut gelungen.


Yves Swolfs
Der Prinz der Nacht (1) "Der Jäger"
Splitter Verlag, 1995